Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
sich gewandelt; er sah jetzt verkniffen und
mißtrauisch drein. Doch er wagte es nicht, Wendell
anzurühren – gut für dich, Arschloch, dachte
Wendell.
    »Die Leute, wo nicht religiös sind, die können gar
nicht verstehen, warum unsereins zu solchen verrückten Sekten
geht. Das kommt daher, weil man dort eine Fürsorglichkeit
spürt, die es sonst nirgendwo gibt. Manchmal ist es schon
’ne merkwürdige Art von Fürsorglichkeit, das ist
richtig. Aber das merke ich erst jetzt. Damals merkte ich das nicht.
Ich und meine Frau Saralinda, wir wurden Streiter und wir lebten in
der Siedlung in Cadillac. Unser kleiner Junge wurde dort geboren.
David.
    Als ich noch bei den Streitern war, da hab ich bei den Tieropfern
zugesehen. Teufel, ich half sogar dabei mit! Da segneten die
Ältesten dann ein Murmeltier oder ein Karnickel, und die Helfer
standen im Kreis rundum, und dann schnitt einer von den Ältesten
dem Vieh die Kehle durch. Was die Viecher dabei für
Geräusche machten, das kann man gar nicht beschreiben. So
’ne Art Quieken, aber nicht ganz. Läßt einem
jedenfalls das Blut in den Adern gefrieren. Einmal, da nahmen sie
eine Katze…«
    »Eine Katze? Doch nicht irgend jemandes Hausmieze?«
hörte Wendell Abrams in seinen Kopfhörern sagen und sah,
daß Abrams auf ein schwarzes Plastikbord blickte, auf dem
TELEFONLEITUNGEN stand. Rote Lampen blinkten über die ganze
Länge des Bordes.
    »Möglich, daß sie jemandem gehört hat«,
sagte Wendell. »Die Kinder sollten eigentlich nicht dabei
zuschauen, aber manchmal haben sie’s doch getan. Ich hab sie
gesehen. ›Wie der Schößling gebogen wird, so
wächst der Baum.‹ Das Blutopfer war ja dazu da, um die
Sünden der Gemeinschaft wegzuwaschen. Auch die der Kinder. Das
ist die einzige Gelegenheit, bei der Blut erlaubt ist. Kein Fleisch,
keine Bluttransfusionen.«
    »Was – auch wenn ein Kind sonst sterben
müßte?« fragte Abrams sanft und gefühlvoll.
Irgendwie war es ihm gelungen, die zwei Stühle wieder
hinzustellen und den Tisch, der nun ein Bein weniger hatte, in eine
Ecke zu verfrachten, wo er nicht im Weg stand. Er bedeutete Wendell,
sich hinzusetzen, und Wendell setzte sich hin, ohne bewußt
wahrzunehmen, was er tat. Er verspürte einen Zwang, das alles
möglichst schnell loszuwerden, die ganze Geschichte hinter sich
zu bringen. Irgendwie hatte er das Gefühl, als würden seine
Worte zusammengepreßt tief in seiner Brust stecken, und allein
dieser Druck würde sie ganz ohne sein Zutun hervorpressen.
    »Auch wenn ein Kind stirbt. Kein Blut. Aber bei den
Tieropfern, da durfte es fließen, weil das so in der Bibel
steht, und jetzt, denke ich, bringen sie auch Menschen um, weil in
der Bibel steht, daß der Tod eine Strafe für diejenigen
Mitglieder der Gemeinde ist, die nicht spuren. Oder für ihre
Verwandten. Dreizehn Leute sind in den letzten neun Monaten in der
Siedlung gestorben…«
    »Und wieso wissen Sie das so genau?« fragte Abrams mit
scharfem Unterton.
    »Von einigen weiß ich es durch die Todesanzeigen in der
Zeitung. Von ein paar anderen weiß ich durch meine Frau. Sogar
durch mein kleines Mädchen habe ich davon erfahren. Penny ist
fast fünf, die Kinder müssen zu den Beerdigungen gehen.
Damit sie rechtzeitig lernen, Gottes Willen zu akzeptieren. Dreizehn
– aber ich glaube, es waren noch mehr.«
    »Und wieso, Mister Botts?« Zum erstenmal nahm Wendell
wahr, daß Abrams Stimme jetzt anders klang. Ruhiger,
respektvoller. Wieder warf Abrams einen Blick auf die blinkenden
Lämpchen.
    »Weil unter dem ganzen Gelände Kalksteinhöhlen
sind. Es wäre ganz leicht, da unten Leichen zu verstecken, und
die Streiter sind… die sind so hart.« Das war nicht das
richtige Wort, und Wendell runzelte die Stirn. Dann kamen ihm die
richtigen Worte. »Sie sind so gnadenlos. Wie die Marines.
Jedenfalls sind sie gnadenlos, wenn sie denken, die Bibel schreibt
ihnen etwas vor… und meine beiden Kleinen sind dort
drinnen!«
    Es kam ganz anders heraus, als erwartet; er hatte nicht
gewußt, daß es ihn dermaßen schmerzte. Nein, ja, er
wußte es, natürlich wußte er es, aber er hatte nicht
gewußt, daß Worte soviel von diesem Schmerz
ausdrücken konnten. Nicht seine Worte. Er blinzelte und
ließ die Augen durch den winzigen Aufnahmeraum wandern. Lieber
Himmel, er klang wie ein wehleidiger Jammerlappen…
    Abrams sagte: »Die Anzeigetafel leuchtet wie ein
Weihnachtsbaum, also fangen wir an mit unserem ersten Anrufer.
Sprechen Sie, bitte!«
    »Das ist ja entsetzlich!«

Weitere Kostenlose Bücher