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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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sagte eine
Frauenstimme. »Ich höre Ihre Sendung sonst nie, Mister
Abrams, weil es da immer so ordinär zugeht, aber ich bin froh,
daß ich heute eingeschaltet habe. Diese armen Kinder…
Warum interessiert sich eigentlich die Polizei nicht für die
Vorgänge auf diesem Anwesen? Auch wenn es keine Menschenopfer
dort gibt, dann ist es schlimm genug, daß unschuldige Kinder
gezwungen werden, dabei zuzusehen, wenn Kätzchen ermordet
werden, weil – nein, das steht nicht in der Bibel, Mister
Abrams! Jesus ist die Liebe! Es war richtig von Ihnen, Mister Botts
in Ihre Sendung einzuladen…«
    »… die Sie natürlich von jetzt an immer einschalten
werden«, ergänzte Abrams trocken. »Der nächste
Anrufer, bitte.«
    »Botts, Ihre mißliche Lage unterstreicht nur, was ich
immer schon gesagt habe! Die religiöse Rechte in diesem Land
benutzt das legitime Streben der Menschen nach wirtschaftlicher
Unabhängigkeit voller Arglist dazu, uns einer Gehirnwäsche
zu unterziehen, die zu unbewußter innerer Abhängigkeit
führt. Interessant ist dabei, daß uns bereits 1943 Ayn
Rand in seinem Werk Der Urquell davor warnte…«
    »O Gott, ersparen Sie uns die Randianer!« unterbrach ihn
Abrams. Er zwinkerte Wendell zu. »Von wegen
Gehirnwäsche…«
    Der Anrufer begann zu brüllen. Abrams brüllte
zurück: beleidigend, grinsend. Das Anzeigebord blinkte hektisch.
Immer mehr Leute riefen an, alle einigermaßen erregt. Sie waren
durchwegs der Ansicht, daß Wendell einen guten Kampf
kämpfte, daß er recht tat, seine Kinder dort rauszuholen.
Abrams ließ Wendell mit einigen von ihnen reden, und Wendell
sagte ihnen, sie sollten ihren Kongreßabgeordneten und dem FBI
schreiben. Abrams verdrehte die Augen, aber zu diesem Zeitpunkt war
es Wendell bereits egal. Diese Leute fanden es für richtig, was
er tat! Sie dachten alle, er sollte Penny und David
zurückbekommen! Sie hörten ihm zu!
    Nur ein Mann klang skeptisch. Wendell haßte seine Stimme in
dem Moment, als er sie vernahm: kühl, trocken, blasiert. Er
haßte den Mann noch mehr, als dieser sagte, er sei Arzt.
»Was bringt Sie zu der Annahme, Mister Botts, daß diese
angeblichen Ritualmorde bei einer Obduktion nicht augenblicklich als
solche erkannt worden wären?«
    »Vielleicht hat es keine Obduktionen gegeben.«
    »Aber Sie sagten doch, daß Sie von einigen der
Todesfälle aus den Todesanzeigen des Cadillac Register erfahren haben, und Sie sagten auch, einige dieser Leute seien
kräftige gesunde Leute gewesen, die, wie Sie sich
ausdrückten, keinen Grund gehabt hätten abzukratzen. In so
einem Fall wird ganz automatisch von behördlicher Seite eine
Autopsie angeordnet. Und, glauben Sie mir, Mister Botts, wenn die
Todesursache ein rituelles Kehledurchschneiden ist, dann
läßt sich das relativ leicht feststellen. Die klaffende
blutige Wunde unter dem Kinn verrät es uns
nämlich.«
    Abrams grinste.
    Wendell sagte: »Davon verstehe ich nichts,
aber…«
    »Offensichtlich.«
    »Ich will meine Kinder dort raushaben!« schrie Wendell.
Abrams warf einen Blick hinüber zu seinem Tontechniker, und da
haßte Wendell ihn von neuem: seiner arroganten Schnoddrigkeit,
seines herablassenden College-Hippie-Gehabes wegen. Nichts hätte
er lieber getan, als Abrams die Zähne in die Gurgel zu
dreschen… Aber die nächste Anruferin nannte Wendell
mitfühlend einen Helden und meinte, daß die
größten Helden immer diejenigen seien, die um ihre Kinder
kämpfen mußten, und daß sie einfach wußte, was
für ein wunderhübscher kleiner Engel Wendells Tochter war,
ganz so wie ihr eigenes kleines Mädchen, mit blonden Haaren und
blauen Augen. Wendell fing an, ihr Penny zu beschreiben.
    Er fragte sich, ob durch irgendein Wunder Saralinda vielleicht
zuhörte.
    Aber das tat sie nicht, denn die Streiter des göttlichen
Bundes würden nie eine Sendung wie die
›Rick-Abrams-Stunde‹ einschalten. Doch hier waren alle
diese Leute, die ihm zuhörten, und je länger er redete,
desto mehr schreckliche Einzelheiten aus dem Leben bei den Streitern
kamen ihm wieder ins Gedächtnis zurück.
    Und dann, als die Sendung vorbei war und Abrams keine Chance
gehabt hatte, irgendwo die Werbung unterzubringen, da wollten immer
noch so viele Leute mit Wendell sprechen, aber der Tontechniker
führte ihn unerbittlich zurück in den mickrigen
Empfangsraum. Das Flittchen war bereits gegangen. Draußen auf
der Straße stand ein Mann vor der versperrten Tür und
klopfte gegen das Glas. Wendell packte seine Wolljacke und
öffnete.

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