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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Fröstelnd stürzte der Mann aus der windigen
Novemberkälte zur Tür herein. An seiner Jacke hingen
Schneeflocken. Sein Händedruck war fest, und der Ausdruck in
seinem jungen Gesicht erinnerte Wendell an die Rekruten bei den
Marines, die rascher als alle anderen Korporal werden wollten.
    »Hallo, sind Sie Wendell Botts? Mein Name ist Jake Peterson.
Ich schreibe für die Albany Gazette. Ich würde gern
mit Ihnen sprechen, Mister Botts, über Ihre Kinder und über
die Streiter des göttlichen Bundes.«
    Von allein geht gar nichts.
    »Gern, Mister Peterson.«
    »Gehen wir doch auf einen Drink«, sagte Peterson.
»Ich möchte alles über Ihre Schwierigkeiten
hören.«

»Barbara?
Hier spricht Judy Kozinski.«
    »Judy! Oh, du bist wieder da…? Wie geht’s dir denn?«
    Judy stand in ihrer Küche in Natick, hielt den Hörer
weit weg vom Ohr und verzog das Gesicht. Zugleich füllten sich
ihre Augen mit Tränen. Die Leute sagten immerzu die identischen
Dinge – und im identischen Tonfall. Zuerst kam ihr Name –
mit überraschter Stimme, als wäre es absolut erstaunlich,
von ihr zu hören, beinahe so, als wäre sie es, die
gestorben war, und nicht Ben, und als würde sie nun direkt aus
dem Grab heraus anrufen. Dann wurde die Stimme umgehend
gedämpfter, mit einer besorgten kleinen Betonung auf dem zweiten
der vier vorhersehbaren Worte. Wie geht’s dir denn? Und
das ganze war durchzogen von einem schuldbewußten Unterton,
weil Judy sich bei dem Angerufenen meldete und nicht umgekehrt. Der
Tod brachte die Menschen in Verlegenheit, hatte Judy entdeckt, und
diese Verlegenheit verursachte eine Abwehrhaltung – und diese
Abwehrhaltung brachte Judy zum Weinen.
    Sie blinzelte die Tränen weg. »Gut«, sagte sie.
»Und wie geht’s dir?«
    »Oh, großartig«, sagte Barbara McBride. »Also
– nicht großartig, natürlich, wir sind immer noch wie
vor den Kopf geschlagen von Bens… keiner wußte, was da zu
tun war, und du warst so lange bei deinen Eltern, aber wenn ich etwas
für dich tun kann, irgend etwas… obwohl ich natürlich
weiß, daß niemand wirklich etwas für dich
tun…«
    Judy beendete das grausame Spiel. »Du könntest
tatsächlich etwas für mich tun, Barbara.«
    »Alles, was du willst«, sagte Barbara mit warmherziger
Stimme und voller böser Vorahnungen.
    »Lade mich zu der großen Party ein, die du immer
Samstag nach Thanksgiving gibst.«
    »Judy! Du bist natürlich willkommen, meine Güte,
ihr kommt doch jedes Jahr, du und… Ich habe dir nur deshalb
keine Einladung geschickt, weil ich nicht wußte, ob du…
also, beim Begräbnis hast du mir gesagt, daß du eine Weile
weg sein würdest, und da dachte ich… o Gott…«
    Das war ein beachtliches Getue, selbst für die übliche
Verlegenheit im Hinblick auf den Todesfall. Judy runzelte die Stirn.
Sie konnte sich Barbara bildlich vorstellen, wie sie in ihrer
großen sonnigen Küche in Newton stand, den Hörer
hielt und aufgewühlt aus dem Fenster auf ihren kahlen,
ordentlich geputzten Garten starrte. Barbaras Ehemann Jon hatte mit
Ben zusammen am Whitehead gearbeitet, aber Ben hatte seine Kollegen
und seine Frau in zwei getrennten Abteilen seines Lebens
untergebracht, und so hatten die beiden Ehepaare einander außer
bei den offiziellen Anlässen immer nur zwei, dreimal im Jahr
gesehen, in erster Linie bei Konzerten oder Theaterbesuchen. Judy und
Barbara waren nicht richtiggehende Freundinnen, aber sie standen
miteinander auf freundschaftlichem Fuß. Und Barbara
gehörte zu jenen Frauen, die davon überzeugt waren,
daß die Gesellschaften, die sie gaben, einen wichtigen Beitrag
zur Karriere ihrer Ehemänner darstellten. Bei ihren großen
Parties waren stets alle bedeutenden Mikrobiologen und Genetiker,
derer sie habhaft werden konnte, anwesend. Es würde eine
hervorragende Gelegenheit sein, um damit anzufangen, Fragen zu
stellen. Aber Barbara klang so merkwürdig nervös…
    »Barbara, gibt es ein Problem, wenn ich zu der Party
komme?«
    »O nein! Es ist nur… nein, natürlich nicht! Bitte
komm doch, Judy. Alle werden froh sein, dich wiederzusehen. Acht Uhr,
ja?«
    »Was kann ich mitbringen?«
    »Ach, du brauchst gar nichts mitzubringen!«
    Langsam und deutlich sagte Judy: »Barbara, ich bringe immer
etwas mit. Alle bringen immer etwas mit! Daran hat sich doch nichts
geändert, oder? Sind Currynüsse in Ordnung?«
    »Wunderbar!« sagte Barbara. »Also, bis
dann!«
    Und weshalb nun das ganze Getue? fragte sich Judy.
    Sie legte auf. Es war zehn Uhr vormittag, der

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