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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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eine Tür mit Guckfenster eingelassen
war. Die Tür war wieder einmal versperrt, und es kostete
harte Mühe, ehe sie mit einem widerlichen, traurig-boshaften
Gekreische aufsprang.
    Erschreckte Fledermäuse umflatterten uns, und aus einem
Krähenneste tönte mißgelauntes Krächzen. Es war eiskalt in
diesem kleinen, halbkreisförmigen Raume, und auf dem Fußboden
lag eine dünne Schicht Schnee. Durch eine Lucke,
hoch oben nahe der Decke, fiel das spärliche Licht des grauen
Tages. Einst mochte sie verglast gewesen sein, jetzt ließen ihre
leeren Fensterrahmen Schnee und Kälte ungehindert durch
und gaben dem Getier hier Zutritt. Die Ringe, welche in die
Wand und in den Boden eingelassen waren — um die Sträflinge
anzuketten —, verrieten noch heute die Bestimmung dieses
Raumes: eine Kerkerzelle.
    Die Arbeit hatte viel längere Zeit in Anspruch genommen,
als ich erwartet hatte. Es war nach ein Uhr. Mein Zug war um
zwölf Uhr abgegangen! Und der nächste ging erst gegen Mitternacht.
    Nun mußte ich meine Heimreise wohl aufgeben. Denn
zum Weihnachtsfeste kam ich ohnedies nicht mehr zurecht,
und die Christnacht auf der Bahn zu verbringen wäre sinnlos
gewesen.
    Ich konnte meinen Ärger kaum verbeißen. Jetzt war ich
wieder einmal das Opfer einer meiner Schrullen. Diese »Entdeckungen«,
die ich machte, verlohnten doch wahrlich der
Mühe nicht. Um ein paar Fledermäuse aufzuscheuchen, hatte
ich meinen Weihnachtsurlaub preisgegeben. Wenn ich doch
wenigstens eine einzige Urkunde gefunden hätte! . . . »Hol
der Kuckuck den vertrackten Trakt!« brummte ich ärgerlich
vor mich hin, und der üble Gleichklang, den ich da zufällig
fand, entlockte mir ein säuerliches Lächeln.
    Niemand war froher als Frau Büttgemeister. Wie hatte ihr
vor dem einsamen Weihnachtsabend gebangt — nun konnte
sie es mir gestehen —, doch hätte sie es nie gewagt, mir zuzumuten,daß ich um ihretwillen auf die Heimreise verzichte.
Mit stiller Freude traf sie die Zurüstungen zu dem Feste und
ihre Freude ließ mich meinen Ärger bald vergessen.
Dreizehntes Kapitel
    N ach Tisch wollte ich einen Spaziergang hinaus ins Freie unternehmen.
Ich schlenderte gedankenlos dahin, und als ich
aufblickte, da stand ich — vor dem Gerichtsgebäude. Das war
das Ziel der Wanderung wahrhaftig nicht.
    Was hatte mich hierhergeführt? Nur die Gedankenlosigkeit,
also die Gewohnheit der letzten Monate, wie der Esel
zur Mühle trottet? Oder ein Unbekanntes? Was wir heute
gerne »Unterbewußtsein« nennen?
    Was suchte es im Gerichtsgebäude, mein Unterbewußtsein?
Urkunden? Die waren alle abgetan. Noch weitere Urkunden?
Die gibt es nicht.
    Solcherart suchte ich mein Unterbewußtsein von der Torheit
seines Verlangens zu überzeugen und kehrte um. Da
strauchelte ich. Das war ein ernstlicher Protest.
    Also gut, der Klügere gibt nach. Vielleicht gibt es im »vertrackten
Trakt« noch einen Fund zu holen? Nachsichtig lächelnd
folge ich meinem unbewußten Führer.
    Ich ließ mir vom Torwart öffnen — man hatte heute früher
Schluß gemacht, und das Gebäude war leer — und ging geradewegs
zu dem Eingange, der am Vormittage durchbrochen
worden war.
    Vor allem unterzog ich den Schrank in der Ratsstube nochmals
einer gründlichen Prüfung, ob er nicht ein Geheimfach
enthalte, das mir vorher entgangen war. Vergeblich.
    Bekanntlich werden Urkunden bisweilen eingemauert, um
sie der Nachwelt desto zuverlässiger zu überliefern. Ich
klopfte Stein für Stein sorgfältig ab, ob nicht der eine oder andere
hohl klänge. Nirgend ein hohler Ton.
    Nun hatte ich hier nichts mehr zu suchen und konnte gehn.
Wenn hier in den unteren Stockwerken nicht das geringste zu
finden war, so oben in der Kerkerzelle erst recht nicht. Die
Unglücklichen, die dort gelegen hatten, an Händen und Füßen
gefesselt, des Notdürftigsten beraubt, die konnten keine
Schriftwerke hinterlassen, noch weniger vermauern. Auch begann
es zu dunkeln, und es gelüstete mich wenig nach einem
Wiedersehen mit den Krähen und den Fledermäusen.
    Aber die Gewissenhaftigkeit des Pedanten überwand die
widerstrebende Phantasie. Ich tappte die Wendeltreppe hinauf,
blickte durchs Fenster des Vorraums noch einmal auf die
im Weihnachtsschnee träumende Stadt und trat in die Kerkerzelle.
    Bisher war ich völlig gleichmütig geblieben. Vielleicht hatte
mich die Emsigkeit des Suchens die Schrecknisse des Orts vergessen
lassen.
    Man kennt das abgegriffene Szenar alter Schauerromane,
man kennt’s und lacht darüber: finstere Nacht,

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