Verirrt in den Zeiten
zusammendrängte.
Unter den Gemälden fielen mir zwei Bildnisse auf.
Das eine stellte einen Mann von einigen dreißig Jahren dar,
in der Tracht des 16. oder 17. Jahrhunderts.
Aus der blauen Luft des Grundes leuchten die stolzen Gesichtszüge
in warmer Tönung hervor. Er ist bekleidet mit
einem Wams aus rötlichem Damast und mit einem pelzbesetzten
Überrock aus schwarzem Tuch, der vorn am Hals das
feingefädelte Unterzeug sehen läßt. Die eine Hand ruht auf
dem Rand des Bildes, die andre spielt mit einem Glase, worin
Nelken stehen. Im Hintergrund ein Fernblick auf beschneites
Hochgebirge.
Das lebendig erfaßte Wesen der Persönlichkeit, die feinsinnige
Charakteristik der Hand, der wunderbare Zusammenklang
der Farben, die sprechende Lebensfülle der ganzen Erscheinung
— dies alles machte das Bild zu einem Meisterwerke
ersten Ranges.
Das Bild war nicht signiert.
Das andere Bildnis trug das Signum Lenbachs. Der Konterfeite
war auch hier ein junger Mann von etwa dreißig Jahren.
Was mir an den Bildern auffiel, war die erstaunliche Ähnlichkeit
der beiden Köpfe, zwischen denen doch zehn Generationen
lagen. Um so anziehender war diese Ähnlichkeit, um
so verwirrender, als der Gesichtsausdruck auf beiden Bildern
völlig verschieden war.
Der alte Kaufherr, Aldermann oder was er sonst gewesen,
sah weltfreudig und hochmütig drein, und darüber schwebte
gleichsam ein Ausdruck fast bestürzten Staunens.
Dagegen trug sein später Doppelgänger auf dem andern
Bilde die feindlich versunkne Miene eines düstern Schwärmers.
Dies der Grundton. Und die Obertöne — ich meine die
flüchtige Stimmung gleich den Lichtern und den Schatten, die
über eine Landschaft huschen, nach deren Wiedergabe es den
darstellenden Künstler drängt aus spielerischer Laune oder
aus der Notwendigkeit inneren Erschauens — diese Obertöne
waren die Verzückung eines Menschen, der besessen ist von
einer vermessenen Idee.
Frau Büttgemeister erläuterte: Das alte Bildnis stelle einen
Ahnen ihres Gatten dar, Matthäus Büttgemeister, der um die
Zeit des Dreißigjährigen Krieges als Ratsherr zu Ansbach
lebte. Offenbar ging er just auf Freiersfüßen, der wohledle
Ratsherr. Daher die Nelken auf dem Bilde. Nelken bedeuten
in der Blumensprache jener Zeit glückliche Liebe. Aus alten
Familienpapieren ginge hervor, daß das Bild aus dem Jahre
1632 stamme. Wer es verfertigte, blieb unbekannt.
Und auf dem andern Bild . . . das war ihr Sohn Erasmus. Ihr
einziges Kind — gewesen, kam es nach mit tonlos-müder
Stimme. Ich wagte keine weitere Frage.
Vergeblich zog ich all meine kunstgeschichtlichen Kenntnisse
zu Rate, um zu ergründen, wer der Maler des alten Bildes
gewesen sein mochte.
Wäre nicht überliefert, daß es aus dem Jahre 1632 stammte,
so hätte ich es Memling oder Hans Holbein dem Jüngsten zugeschrieben.
Denn nicht nur die Faktur, sondern auch manche
Requisiten deuteten auf diese beiden Meister. So die Charakterisierung
der Hand an Memlings Anton von Burgund,
die Grundierung und der Hintergrund wieder an Holbeins
Bildnis des Bonifazius Amerbach, die Nelken an seinen Georg
Gyze.
Aber Memling und Holbein lebten ja ein Jahrhundert vor
der Entstehung des Bildes.
Wer konnte es gemalt haben? Adam Elsheimer?
Er war der größte deutsche Maler jener Zeit, der einzig bedeutende,und manches an diesem Bilde konnte flüchtig an
die Studien erinnern, die ich in seinem Skizzenbuch — im Städelschen
Institut zu Frankfurt — gesehen hatte. Aber Elsheimer
war schon 1600 gestorben.
Viertes Kapitel
F rau Büttgemeister gehörte nicht zu jenen Menschen, die
gerne von sich selbst erzählen. Was ich von ihr erfuhr, war
folgendes:
Sie und ihr längst verstorbener Gemahl entstammten altangesessenen
Patriziergeschlechtern. Ihr Gatte war Professor
der Mathematik zu Tübingen gewesen. Weit mehr aus Neigung
als um des Erwerbes willen, denn er war Erbe althergebrachten
Reichtums.
Dieser Wohlstand wurde aufgezehrt durch irgendwelche
Forschungen, Experimente ihres Sohnes. Die Not der Nachkriegszeit
tat dann ihr übriges. So blieb von all den Häusern,
Feldern, Faktoreien nur jene kleine Wohnung mit dem Hausrat.
Doch mit dem wirtschaftlichen Niedergange war ihre
Schwermut immer noch nicht zu erklären. Dazu war ihre
Phantasie zu reich und ihr Gemüt zu tief.
Die Trauer galt dem Sohne, dem »Einzigen«, dem »armen
Kinde«.
Und doch vermied sie stets, von ihm zu sprechen.
Wenn er im Krieg gefallen, verschollen, in der Gefangenschaft
verstorben war, so
Weitere Kostenlose Bücher