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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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Von dieser
Winzigkeit hängt jetzt mein Leben ab, mein ganzes Schicksal,
Deutschlands Schicksal, das der ganzen Welt!
    Alles vergeblich! Die Batterie war ausgebrannt. Die wenigen
Minuten, da ich sie »gleich einer Freiheitsfackel« aufflammen
ließ, die hatten ihre letzten Kräfte aufgezehrt. So rächte
sich meine unselige Triumphsucht.
    Rasender Zorn erfaßte mich, gegen mich, gegen meine törichte
Verblendung, die mich von müheloser Flucht abhielt
und zu kindischer Rechthaberei verleitete, gegen das tückische
Verhängnis, das an einem lächerlichen Zufall mein ganzes
Leben scheitern läßt.
    In ohnmächtiger Wut schüttelte ich meine Fäuste gegen das
Kruzifix und schrie: »Höhnst du mich schon wieder? Erst
Konradin und dann Agathe und nun auch dies!«
    Dann kehrte sich meine sinnlose Wut gegen die erloschne
Batterie; ich schmetterte sie zu Boden und trat sie mit Füßen:
»Zum Teufel mit dem jämmerlichen Schund!«
    Jählings besann ich mich: Was treib’ ich denn, wohin treibt
mich mein Wahnwitz! Mühsam ringe ich nach Fassung und
bitte um eine kurze Frist, damit ich ihnen die wiederhergestellten
Apparate aufs neue vorführe.
    Aber da brach’s los, da fuhren sie mich an wie aus einem
Munde, voll Hohn und rachsüchtiger Schadenfreude: »Ja,
das wär’ Ihm so zupaß! Das tät’ Ihm frommen, dem Malefizverbrecher,
dem zauberischen Buben, dem verdammten!
Jetzo weist sich’s klärlich; vor dem Crucifixo ist sein höllisch
Blendwerk zuschanden worden. Drum hat er Gott verlästert
und den Teufel angerufen. Gebt ihm wiederum die Ketten
und führt ihn zur Tortur!«
    Verspielt, zerschellt!
    Nun war’s schon einerlei, nun rief ich ihnen zu: »Gut, also
ist es Blendwerk. Für Euch ist’s Blendwerk. Und von mir wares Verblendung, Euch engstirnigen Bestien den Fortschritt
einer bessern Zeit zu weisen. Könnt Ihr mit dem Licht, das ich
Euch bringe, Eure Finsternis erhellen? Aber ich geb’ es auf,
ich nehme mein Geheimnis mit ins Grab.«
    Und mit den Ketten, die wiederum an meinen Händen
klirrten, hämmerte ich los auf alles, was da auf dem Tische
lag, alle meine mühevollen Werke, und was nicht schon zertrümmert
war, schlug ich in Trümmer.
    Ich schrie sie an, todestrunken, nach Erlösung lechzend, in
bitter-süßer Selbstvernichtung: »Mir graut vor Euch. Selbst
über Euch zu herrschen wäre Verdammnis. Brennt nur weiter
Eure Scheiterhaufen, rädert, martert, spießt und drangsaliert
Euch in Eurer finstern Barbarei. Daß Ihr’s nur wißt: noch
sechzehn Jahre Krieg stehn Euch bevor. Kaum die Hälfte
habt Ihr überstanden. Aber ich, ich werde leben in einer fernen,
bessern Zeit. Über Eure Gräber bin ich hinweggehüpft!
Ich werde leben, wenn von Eueren vermoderten Gebeinen der
letzte Staub verweht, von Euern Äsern der letzte Stank verdampft!«
    So rief ich’s ihnen zu, schmutzbedeckt, mit wirren Haaren
und zerrissenem Gewande, den übermütigen Ratsherren, und
wiederum erbleichten sie in atemlosem Schweigen, geblendet
von dem Strahle der ungeheuerlichen Wahrheit.
    Als sie losbrachen in hämischer Wut, tausend Martern über
mich berieten, da hörte ich kaum zu, gleichsam eingehüllt in
eine Rosenwolke. Mich umfing ein köstlich schlaffes, trunkenes
Gefühl des Unwirklichen. Mir war’s, als sei ich hergeschwommen
durch den Ozean, auf einem Zauberschiff, und
sei ans Land gestiegen vor irgendeiner fernen, unbekannten
Stadt zu einem kurzen, flüchtigen Verweilen und habe, gelassen
durch die Straßen schlendernd, das Treiben ihrer Menschen,
ihr Glück und Leiden, wohl beschaut. Aber nun lichtet
meine Brigg den Anker, ich ziehe fort, ich kehre heim, und
nichts verbleibt von mir, nur die Welle, die den Bug des
Schiffs umkräuselt, nur seine mondbeglänzte Kielspur. Alles
hier verdämmert gleich einem fernen Bild in einem Zauberspiegel;ist nie gewesen. Und ich wache auf in meiner wohlvertrauten
Stube, betreut vom Blicke meiner lieben Mutter.
    Es war ein wonnevolles, körperloses Schweben, so daß ich
es kaum merkte, wie mich die Knechte mit sich schleppten.
    Als ich die engen Treppen des Kerkerturmes emporstieg,
als ich vor meiner Kerkertür verweilte und durch das offene
Turmfenster einen letzten Blick hinabwarf auf die Stadt, wie
sie im Sommerglanze dalag, umgürtet von den Auen, behütet
von den Wäldern, da fährt mir’s schreckhaft deutlich durch
den Sinn: Ob da wohl einmal, in einer fernen Zukunft, wieder
einer durch das Fenster hier hinausblickt, gleich mir, einer,
der von mir weiß.
    Zärtlich verstohlen drücke

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