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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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du selbst nie gewesen! Geh, mache doch die Probe aufs
Exempel.
    Aber kaum holte ich zum Stoße aus, flog mir der Degen
klirrend aus der Hand, und die Schergen griffen mich.
    Unter ihren harten Fäusten keuchte ich ihm zu: »Niemanden
habe ich getötet, niemals Böses getan. Aber Ihr tötet. Ihr
wirket mit beim Martertode Eures letzten Nachfahrs. Mit mir
stirbt Euer Stamm. Darum verfluch’ ich Euch! . . . Ach, das
das Kind dem Ahnen fluchen muß!«
    Erbleichend wandte er sich ab.
Neunundvierzigstes Kapitel
    A m nächsten Morgen führten sie mich in den großen Saal der
Schranne. Es war derselbe Saal, wo gestern der Bürgermeister
mit dem Magistrat die Vorführung des Telefons erwartet
hatte.
    Auch heute war der ganze Magistrat versammelt. In voller
Amtstracht. Auf einem Tischchen lagen die corpora delicti:
die Trümmer der Glühlampen, des Flugzeuges und die Maschinenmodelle.
    In einer Ecke wartete, das Haupt vermummt, der Henker.
    Eine Weile mußte ich die Augen schließen, geblendet von
der ungewohnten Helle. Denn ich kam aus einem finstern
Kerkerloch.
    Dann sah ich mir alles an. Recht genau, ja gierig. Wie jemand,
der vor einem langen, harten Gange noch einmal einen
tiefen Trunk tut.
    Wie deutlich sich meinen aufgeschloßnen Sinnen alles einprägt!
Jede Maser an dem Holz der Wandverkleidung, die
zerzausten Gänsekiele in dem großen Tintenfasse vor dem
Ratschreiber und an dem Stuhl des Vorsitzenden das Schnitzwerk,
wovon zwei Schnörkel abgesplittert waren. Und die
Gesichter.
    Wie oft hatte ich als Knabe oder Jüngling versucht, im
menschlichen Gesicht zu lesen. Vergeblich; das Antlitz
des modernen Menschen ist verschlossen. Aber diese hier,
so unnahbar sie schienen, in ihre Amtswürde verkrochen,
verrieten gleichsam wider Willen ihr Geheimnis, Tiergesichter!
    Gleicht denn nicht dieser kleine, dicke Peter Vorrat einem
Ferkel wie aufs Haar, der Martin Bilfinger einem lüsternen,
boshaften Affen, der Liberatus Rodemacher einer nachdenklichen
Kropfgans? Und der Vorsitzende Doktor Scultetus
glotzt würdevoll gutmütig wie ein Ochse.
    Nichts Menschliches, nichts, wo das Auge Trost und Ruhe
fände. Nur die Schwalben, die durch die offnen Fenster aufgeregt
zwitschernd hin- und herschießen; sie rüsten zum Aufbruch.
Nach dem Süden, nach dem blauen Meer, nach der
blauen Ferne . . . Dort, wohin auch ich vor ein paar Stunden
ziehen wollte . . . Es schießt mir dunkel in die Augen, und ich
will das Gesicht in meinen Händen bergen. Doch sie sind gefesselt.
    Nun beginnt das Verhör. Mit der herkömmlichen Frage,
warum ich wohl glaube, daß ich hier stehe.
    »Die Frage kann ich zurückgeben; die muß ich selber stellen.«
    Ich erhielt Bescheid.
    Man legte mir zur Last, daß ich Hexerei getrieben, daß ich
Konradins Tod verschuldet, daß ich Agathe umgebracht, daß
ich »verwichnen Tages zur Nachtzeit als ein Hexenmeister
ausgeflogen und mich an den Rathausfenstern im ersten
Stockwerk als ein erschröckliches Gespenst gezeiget« und
daß ich im Bunde mit den bösen Mächten den Tod ihrer Gestrengigkeiten
doctorum Lansii und Heidegger vorsätzlich
bewirket.
    Und es begann ein Hinundhergefrage, um mich »in der
Güte zu einer Geständnus der Wahrheit zu vermögen«. Sie
nennen das in ihrem Amtsstil »spaßhaft förscheln«.
    Als dies nichts fruchtete, sagte Altmannstetter, indem er gelangweilt
zum Fenster blickte: »Moviere, daß Inkulpat ad locum
torturae cum praeextensione instrumentorum torturalium
geführt 6 ) und dort angegriffen werde.«
    »Ja«, fiel der Arnold Hecht ein, »er möge auf gebundnen
Stuhl gesetzet, ihm die Daumschrauben appliziert und angedruckt
werden.«
    Der Inquirent Doktor Scultetus rückte sich zurecht.
»Wohl. Nunmehro prozediere ich zum artikulierten Verhöre.«
    Und dem Ratschreiber diktierend, fragte er mich nach
Vor- und Zunamen.
    Sodann: wo und wann ich geboren sei.
    Während er die Frage dem Schreiber diktierte, ertönten
drunten auf der Straße Kommandorufe, Hufgetrappel, Hornsignale
und eine kriegerische Marschmusik.
    Ein Reiterregiment in voller Kriegsausrüstung zog durch
die Straßen, mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel.
    6)   Ich beantrage, daß Beschuldigter in die Folterkammer unter Vorweisung
der Folterwerkzeuge geführt.
    Die Gassen und die Fenster dicht gedrängt und Händeklatschen,
Jubelrufe, Tücherschwenken.
    Die strengen Amtsmienen der Räte glätten sich, die meisten
eilen an die Fenster.
    Im Gedränge nähert sich mir Büttgemeister wie zufällig
und flüstert mir

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