Verirrte Herzen
nicht mehr viel, dann hatte sie den Marathon geschafft. Zum vierten Mal blieb sie am Esstisch stehen und rückte die Kerzenleuchter wenige Millimeter weiter zur Mitte, bis sie perfekt in einer geraden Reihe standen. Sie zupfte die strahlend weiße Tischdecke zurecht, aber sie schaffte es nicht, sie so zu positionieren, dass sie wirklich zufrieden damit war. Sie ging zurück in die Küche, um schon einmal den Wein zu öffnen.
»Hallo mein Schatz, ich bin wieder zu Hause«, hörte sie Caros warme Stimme.
Sofort eilte Anne in den Flur und umarmte Caro so stürmisch, dass sie ihre Freundin fast zu Boden riss.
»Was ist denn hier los? Habe ich etwas Wichtiges vergessen?« fragte Caro besorgt, als sie den festlich gedeckten Tisch sah. Ihre Stirn kräuselte sich über der Nase zusammen, während sie krampfhaft versuchte sich zu erinnern. Normalerweise vergaß sie keinen Geburtstag, Jahrestag oder was immer es zu feiern galt. Vielleicht hatte sie doch zu viel Stress auf der Arbeit.
Anne grinste sie an und ließ Caro einen Moment zappeln. Dann erlöste sie ihre Freundin: »Nein, keine Sorge. Ich wollte dich einfach nur überraschen. Ganz ohne besonderen Anlass.«
»Das trifft sich gut. Ich muss nämlich unbedingt mit dir reden.« Caros Augen verloren ein wenig von dem Strahlen, das sie Anne gerade entgegengebracht hatten.
An Caros Blick erkannte Anne sofort, dass es nicht die beste Nachricht war, die sie ihr mitteilen wollte. Aber das war heute ganz egal. Sie fühlte sich einfach wunderbar, daran würde sich so schnell auch nichts ändern. Davon war Anne überzeugt. Also verdrängte sie den Gedanken sofort wieder. »Setz dich schon mal. Ich war gerade dabei, eine Flasche Wein zu öffnen.«
Caro ließ sich nicht lange bitten. Was auch immer Anne gezaubert hatte, es roch köstlich. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen.
Während Anne aus der Küche auf den Tisch zuschritt, betrachtete Caro sie ganz genau. Sie sah umwerfend aus. Braune Locken umrahmten das zierliche Gesicht, und ihre Augen funkelten so verführerisch wie schon lange nicht mehr. Caro lächelte ihre Traumfrau an. Welche Gespenster auch immer in den letzten Wochen in sie gefahren waren, offensichtlich hatte sie sie verscheucht.
»Voilà, Madame. Hier ist Ihr Bordeaux.« Anne goss Caro schwungvoll vom französischen Rotwein ein, doch vor lauter Eifer landeten einige Tropfen auf der Tischdecke und zerstörten die vollkommene Ästhetik. Aber selbst dieses Unglück konnte Anne heute nicht aus der Fassung bringen.
Nachdem sie die Flasche abgestellt hatte, setzte sich sie neben Caro. Sie nahm Caros Hände in die ihren und sah ihrer Partnerin tief in die Augen. »Ich habe mir etwas überlegt. Irgendwie lief es ja die letzten Wochen nicht so wirklich gut mit uns. Wir hatten viel zu wenig Zeit füreinander.«
Caro nickte zustimmend. Ein leiser Seufzer huschte über ihre Lippen. Gespannt, was nun folgen würde, richtete sie ihre volle Aufmerksamkeit auf Anne.
»Deswegen dachte ich, wir könnten die Zeit, während Lilly bei ihrem Vater ist, dazu nutzen, um am Wochenende gemeinsam zur Nordsee zu fahren und dort ein paar romantische Tage zu verbringen. Nur wir beide.« Verliebt wie am ersten Tag lächelte sie Caro an. Ihre Finger wurden ein wenig feucht.
Plötzlich senkte Caro den Blick und zog ihre Hände hastig zurück. Sie räusperte sich. »Das ist wirklich eine wundervolle Idee. Aber . . .«
»Kein Aber. Wir brauchen etwas Zeit für uns. Es kann so nicht weitergehen«, unterbrach Anne sie euphorisch.
Caro zögerte einen Moment, ehe sie weitersprach: »Ich muss am Freitag für drei Tage nach München. Das ist eine verdammt wichtige Geschäftsreise. Es tut mir wirklich leid. Das kann ich nicht verschieben.« Hilflos strich sie eine blonde Strähne aus ihrem Gesicht. Sie wich Annes bohrendem Blick aus.
»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?« Fassungslos sah Anne sie an. Sie hatte sich so sehr auf die gemeinsamen Tage gefreut. Das konnte Caro nicht einfach zunichte machen. »In deinem Leben gibt es nichts als Arbeit, Arbeit, Arbeit. Du bekommst doch gar nicht mehr mit, was um dich herum passiert. Wahrscheinlich hast du nicht einmal bemerkt, dass etwas zwischen uns nicht stimmt«, fuhr Anne sie ungehalten an.
»Bitte beruhige dich doch«, flehte Caro.
Anne wollte sich aber nicht beruhigen. Sie hatte endgültig genug.
Caro schlug verzweifelt die Hände vors Gesicht. Natürlich hatte sie bemerkt, dass etwas zwischen ihnen stand. Aber wie sollte sie ahnen,
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