Verirrte Herzen
wusste Caro, was dieser Herr Gläser von ihr wollte.
»Ist mein Brot endlich fertig?« drängelte Lilly und riss Anne aus ihren Gedanken.
»Gleich. Setz dich schon an den Tisch«, erwiderte Anne.
Wenige Augenblicke später aßen sie gemeinsam zu Abend.
Als Anne gerade das Geschirr abräumte, kam Caro von der Arbeit nach Hause. Sie gab Anne einen flüchtigen Kuss und setzte sich an den Küchentisch. »Lass das ruhig stehen. Dann mache ich mir auch eine Kleinigkeit.«
Anne nahm neben Caro Platz und beobachtete, wie sie sich eine Scheibe Brot mit Butter bestrich. Sie war sehr attraktiv, keine Frage. Selbst wenn sie von einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause kam, sah sie bezaubernd aus. Ihre gerade, elegante Körperhaltung verlieh ihr eine anmutige Schönheit. Nur ihre hochgesteckten Haare ließen sie ein wenig zu streng erscheinen.
»Ein Herr Gläser von Elektro-Fischer hat für dich angerufen.«
»Oh«, war alles, was Caro entgegnete. Sie lächelte Anne zu, machte aber keine Anstalten, noch etwas hinzuzufügen.
Anne sah sie fragend an. Offensichtlich wusste Caro sofort, worum es ging, hielt es aber nicht für nötig, sie darüber zu informieren. »Er hat gesagt, du könntest deinen Flachbildfernseher abholen.«
Caro räusperte sich. »Ach so. Das habe ich dir ja noch gar nicht erzählt.« Sie rieb sich über die Stirn.
Annes Augen verdunkelten sich. »Nein, in der Tat, das hast du mir noch nicht erzählt.« Ihre Stimme klang gereizt.
»Das war auch eine ganz spontane Entscheidung. Elektro-Fischer hatte den Fernseher im Sonderangebot, und als ich zufällig am Laden vorbeigekommen bin, habe ich es gesehen. Da dachte ich, ich schlage besser zu, bevor es zu spät ist«, versuchte Caro zu erklären.
»Hast du etwa einen neuen Fernseher gekauft?« Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr sie fort: »Und wann genau hattest du vor, mir davon zu erzählen?« Anne stemmte ihre Hände in die Hüften und funkelte Caro böse an.
»Ich fand es nicht so wichtig. Der alte ist doch sowieso fast kaputt und macht ständig Zicken«, versuchte Caro Anne zu besänftigen. Sie seufzte. »Ich hatte gehofft, du freust dich.«
»Aber warum hast du mir denn nichts davon gesagt? Es ist doch unser gemeinsamer Fernseher, oder?« Annes Wut wich einer großen Enttäuschung. Hatten sie sich nichts mehr zu sagen? Warum sprachen sie nicht mehr miteinander? Sie starrte in die Ferne und kaute, ohne es zu bemerken, auf ihren Fingernägeln herum.
»Weißt du«, Caro machte eine Pause und wartete, bis Anne sie ansah, »in letzter Zeit warst du so oft nicht zu Hause. Wir hatten so wenig Zeit füreinander. Irgendwie muss das untergegangen sein. Bitte sei nicht böse deswegen.« Ein schüchternes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Zärtlich strich sie über Annes Arm, aber Anne zog ihn zurück.
Ihr Leben geriet aus den Fugen. Jetzt beschwerte sich Caro darüber, dass sie zu wenig Zeit zusammen verbrachten, und das völlig zu recht. Seit Wochen verheimlichte sie ihre Treffen mit Nora vor Caro. Und da wunderte sie sich noch, dass Caro vergaß zu erwähnen, dass sie einen neuen Fernseher gekauft hatte.
Es musste sich dringend etwas ändern. So konnte es nicht mehr weitergehen, sie musste sich endlich entscheiden, was sie wollte.
»Ich bin dir nicht böse, ich finde es nur sehr schade, dass wir im Moment so wenig miteinander sprechen.« Anne schob ihren Arm wieder in Caros Richtung und ließ ihre Berührungen zu.
Sanft kreiste Caro mit ihren Fingerspitzen über Annes Arm.
Doch Anne hielt es erneut nur wenige Augenblicke aus. »Lilly muss schlafen. Ich bringe sie ins Bett.«
Caro nickte schweren Herzens. Ihr fehlte Annes Zuneigung. Wie gern hätte sie Anne einfach umarmt und an sich gedrückt, aber Anne entzog sich ihr jedes Mal. Doch es würde wieder besser werden, da war sich Caro sicher.
Als sie abends im Bett lagen, kuschelte sich Caro an ihre Freundin, und Anne ließ die Nähe zu. Sie schloss die Augen und spürte, wie Caros Herz gegen ihren Rücken pochte.
Zum ersten Mal seit Wochen hatte Anne keine Armada von Schmetterlingen im Bauch, als sie Nora um die Ecke biegen sah. Ihr Puls blieb ruhig und gleichmäßig.
Noras lange, schwarze Haare wehten im warmen Frühlingswind. Sie winkte ihr lächelnd zu, und Anne erwiderte freundlich den Gruß.
Wieder hatte sie Caro gegenüber eine Verabredung mit Nadine vorgetäuscht. Lilly, die gerade Ferien vom Kindergarten hatte, war für eine Woche bei ihrem Vater. Das war für Anne die optimale Lösung.
Weitere Kostenlose Bücher