Verirrte Herzen
auch. Danke, dass du gekommen bist.«
Sie sahen sich lange und tief in die Augen. Keine wandte ihren Blick ab. Die Luft zwischen ihnen vibrierte. Die Spannung war fast körperlich zu spüren, Funken sprangen über.
Das Ziehen in Annes Magen wurde noch stärker. Ihre Wangen begannen zu glühen. Das Blut strömte heiß in ihren Adern. Es fühlte sich an, als wären sie niemals auch nur eine einzige Sekunde getrennt gewesen.
»Haben Sie etwas ausgewählt?« zerstörte die Kellnerin, die unbemerkt an ihren Tisch getreten war, diesen Moment.
Anne blickte zu Boden, sie musste nach Luft schnappen. Diese intensiven Gefühle hielt sie nicht den ganzen Nachmittag über aus. Das würde sie nicht schaffen.
Beide bestellten sie Cappuccino.
»Das Wetter heute ist wirklich herrlich«, versuchte Anne die Spannung mit Belanglosigkeiten zu überspielen. Sie sah krampfhaft auf die Tischplatte. Es war unmöglich für sie, Caro in die Augen zu sehen.
»Ja, es ist wirklich schön draußen«, ging Caro darauf ein.
Nachdem sie das Wetter der vergangenen und der kommenden Woche erörtert hatten, beschloss Anne, dass es an der Zeit war, sich dem eigentlichen Grund ihres Treffens anzunähern. »Ich bin froh, dass du mir die Möglichkeit gibst, dir einiges zu erklären.« Mit ihren Fingern strich Anne am Rand der Kaffeetasse entlang. »Ich wollte dich nie in meinem Leben verletzen«, erklärte sie mit brüchiger Stimme. Sie räusperte sich. »Es tut mir so leid, was passiert ist.« Die Verzweiflung stand Anne im Gesicht geschrieben. Sie sah zu Caro auf.
Caro atmete tief durch. »Du hast mir so wehgetan. Die Welt ist über mir zusammengebrochen.« Sie kniff ihre Augen schmerzverzerrt zusammen. Als sie sie wieder öffnete, starrte sie die Wand an. Ihre Hände umklammerten sich verkrampft. »Ich hätte mir nie vorstellen können, dass so etwas geschieht. Ich war so davon überzeugt, dass uns nichts auseinanderbringen könnte. Ich dachte, wir wären immun gegen alle Krisen.« Verständnislos schüttelte Caro den Kopf. »Wie konnte es so weit kommen?«
Ein tiefer Seufzer entwich Anne. Wie oft hatte sie sich diese Frage schon gestellt. »Ich weiß es nicht. Eigentlich war ich immer glücklich mit dir. Ich konnte mir nie vorstellen, dass eine andere Frau mich faszinieren könnte.«
»Warst du unzufrieden in unserer Beziehung?« Caro hatte Angst vor der Antwort, denn je mehr sie darüber nachgedacht hatte, desto sicherer war sie sich, dass auch sie Fehler gemacht hatte. Sie hatte Anne rücksichtslos verletzt. Sie hatte ihr nicht das gegeben, was sie brauchte. Sie trug eine Mitschuld an dem, was passiert war, das ließ sich nicht leugnen.
Anne musste kräftig schlucken. »Manchmal habe ich mich in deinem Leben zweitrangig gefühlt. Du hast mir so oft versprochen, dass alles besser würde, aber es hat sich nichts geändert. Ich hatte, glaube ich, einfach das Gefühl, dass ich nicht mehr das Wichtigste für dich war, und dann kam eins zum anderen. Und dann ist es passiert.« Beschämt senkte sie den Kopf.
»Erzähl mir von ihr. Wie hast du sie kennengelernt? Wie lange ging das schon?« Caros Stimme klang mit einem Mal hart und kühl. Der Gedanke, dass Anne sich leidenschaftlich einer anderen Frau hingegeben hatte, quälte sie so sehr, dass sie dachte, an den Schmerzen zu sterben.
Anne merkte, wie ihr übel wurde. Nur mit größter Mühe brachte sie die Worte über ihre Lippen. »Sie heißt Nora und war meine Patientin. Wir haben uns ein paarmal getroffen, aber nur das eine Mal ist etwas passiert. Das musst du mir glauben. Es war ein einmaliger Ausrutscher. Danach habe ich sie nie mehr wiedergesehen.«
Ein Messer bohrte sich durch Caros Brust. Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Sie konnte den Gedanken einfach nicht ertragen. Anne hatte ihr Vertrauen missbraucht. Kleine Tränen flossen ihre Wangen hinunter.
Anne legte verzweifelt den Kopf in ihre Hände. »Caro, ich wollte das nicht. Aber dann war ich so enttäuscht darüber, dass du nicht mit mir wegfahren wolltest, sondern eine Geschäftsreise wichtiger war, dass ich nicht mehr Herrin meiner Sinne gewesen bin und völlig irrational gehandelt habe. Natürlich wusste ich, dass du niemals hattest ahnen können, dass ich ausgerechnet an diesem Tag auf so eine Idee kommen könnte, und ich wusste auch, dass du die Reise gar nicht absagen konntest. Doch ich habe meinen Verstand einfach ausgeschaltet. Vielleicht war es am Ende nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.«
Mit
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