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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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sie kann, und muss keinen Groll von Seiten des Derwischs fürchten.
    «Der türkische Derwisch», schloss Cloridia, «ist ein Taugenichts und Betrüger, der manchmal zum Straßenräuber wird, wenn die Umstände es erlauben. Anders liegt der Fall bei Derwischen, die diesen Namen verdienen, also den indischen wie Ciezeber.»
    Diese Art Derwische, erklärte Cloridia, während auch wir nach Wien zurückkehrten, sind außerordentlich gefragt: Sie vollführen Wunderheilungen an Menschen und Tieren, können der Unfruchtbarkeit von Frauen, Mauleselinnen und Kühen abhelfen, finden in der Erde vergrabene Schätze und verjagen böse Geister, die die Herden oder Mädchen belästigen. Alles, was magische Kräfte erfordert, steht in ihrer Macht.
    «Ihr Mystizismus befähigt sie zu Wundertaten wie jenen, die wir gesehen haben», schloss sie, «aber das hat nichts mit dem Glauben an den Propheten zu tun. Im Gegenteil, ihre Rechtgläubigkeit ist sehr zweifelhaft, und sie werden der Gleichgültigkeit gegenüber dem Koran verdächtigt.»
    Von Cloridias Erzählungen zusätzlich verwirrt, kamen mir nur unnütze Fragen über die Lippen:
    «Was mögen das für Gegenstände gewesen sein, die er in der Hand hielt, während er psalmodierte? Und wie vollbringt Ciezeber all diese Wunder?»
    «Mein Schatz», entgegnete sie geduldig, «ich weiß ein wenig über Derwische, aber die Geheimnisse ihrer Rituale kann ich dir nicht erklären.»
    «Ich begreife nicht, was das alles mit dem Kopf zu tun hat, den Ciezeber um jeden Preis haben will, oder gar mit der Anwesenheit des Agas. Und ich weiß nicht, ob der Derwisch gerade hierhergekommen ist, in die Nähe des Ortes Ohne Namen, weil er einen bestimmten Grund dafür hatte: Dies ist nämlich ein heiliger Ort für die Türken», sagte ich, an Simonis’ Erzählung von Süleymans Zeltstadt zurückdenkend.
    «Ich begnüge mich damit, keine Meinung zu haben. In gewissen Fällen ist das die einzige Möglichkeit, nicht fehlzugehen», beschied mich Cloridia knapp, während wir auf Wien zugingen, umgeben von dem appetitlichen Knoblauchduft des wilden Krauts, das im Unterholz wuchs.

17. Stunde, Ende des Arbeitstages: Werkstätten und Kanzleien schließen. Handwerker, Sekretäre, Sprachlehrer, Priester, Handelsdiener, Lakaien und Kutscher speisen zu Abend (während man in Rom gerade die nachmittägliche Zwischenmahlzeit einnimmt).
    Zurück in der Himmelpfortgasse, begab Cloridia sich in das Palais des Prinzen Eugen, um noch einige Dinge zu erledigen, die sie wegen unserer Verfolgungsjagd aufgeschoben hatte. Im Kloster traf ich Simonis, der den Kleinen soeben gründlich vom Ruß gesäubert hatte und sich anschickte, mit ihm zum abendlichen Mahl in das nahe Wirtshaus zu gehen. Ich schloss mich an, und während des Essens erzählte ich meinem Gehilfen von den grausigen Ritualen, die Ciezeber im Wald vollführt hatte. Aber ich konnte Simonis nur schwer begreiflich machen, was ich gesehen hatte, und die dummen Fragen, die er prompt stellte, ließen mich alsbald bereuen, dass ich den Mund aufgemacht hatte. Wieder wunderte ich mich, warum der Grieche mal so scharfsinnig und mal, wie in diesem Moment, so überaus begriffsstutzig war.
    «Morgen setzen wir unsere Arbeit im Neugebäu fort», kündigte ich ihm an, um das Thema zu wechseln.
    «Wenn ich mir erlauben darf, Herr Meister, möchte ich Euch daran erinnern, dass morgen Sonntag ist. So Ihr es wünscht, kann ich natürlich arbeiten; doch es ist überdies dominica in albis , also Weißer Sonntag, und ich glaube, wenn uns ein Wachmann entdeckt …»
    Simonis hatte recht. Der morgige Tag war ein Sonntag, der Weiße Sonntag zudem, und wer sich bei einer opera servilia et mercenaria ertappen ließ, wurde nach dem Gesetz mit Geldbußen, ja sogar mit körperlicher Züchtigung und Beschlagnahmung seiner Güter bestraft, da das Arbeiten am Feiertage – wie es im kaiserlichen Edikt hieß – göttlichen Zorn erregte und darob die Gefahr von Plagen, Krieg, Hunger und Pestilenz heraufbeschwor.
    «Danke, Simonis, das hatte ich vergessen. Also am Montag.»
    «Es tut mir leid, aber ich muss Euch daran erinnern, Herr Meister, dass am Montag die Vorlesungen der Universität beginnen, da die Osterferien nunmehr beendet sind.»
    «Stimmt. Ich hoffe, auch diesmal hast du jemanden, der die Vorlesungen für dich hört.»
    «Selbstverständlich, Herr Meister: meinen Pennal.»
    «Deinen … was? Ach ja, dieser Penicek», sagte ich, als ich mich der Deposition entsann, der ich beigewohnt

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