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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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hatte.
    «Just der, Herr Meister. Ich bin sein Schorist, und er ist meinen Entscheidungen in allem und jedem unterworfen. Nichtsdestoweniger werde ich zumindest an der Wiedereröffnungszeremonie der Universität persönlich teilnehmen müssen, furchte ich. Aber ich werde alles tun, um Euch keine Unannehmlichkeiten zu bereiten, Herr Meister.»
    Ich nickte. Simonis als Hilfsrauchfangkehrer gefunden zu haben, war ein wahres Glück. Von morgens bis abends arbeitete er für mich und achtete im Allgemeinen nicht auf Zeiten, Festtage und all die anderen Lizenzen, der Arbeit fernzubleiben.
    Mit Staunen und Bestürzung hatte ich kurze Zeit nach unserer Ankunft in Wien entdeckt, dass das Jahr in der Kaiserstadt nicht mehr als zweihundertfünfzig Arbeitstage zählte und von ebenso regulären wie widersinnigen Feiertagen unterbrochen wurde. Zuvörderst gab es da die sogenannten «Blauen Montage», also jene Montage, welche mittels eines religiösen oder beliebigen anderen Vorwands die sonntägliche Muße verlängerten. Hinzu kamen Aktivitäten wie die Jahrmärkte, die oft Wochen andauerten und dazu berechtigten, der Arbeit fernzubleiben; weiter die Pilgergänge, die eine ganze Woche währen konnten. All dies arbeitsfreie Tage, die aber ordnungsgemäß bezahlt werden mussten!
    In Wien wurde nie lange gearbeitet: Immer gab es einen festlichen Anlass, der den Rhythmus unterbrach, was die Ausführung großer Aufträge stark beeinträchtigte, da sie nämlich auf diese Weise sehr viel Zeit in Anspruch nahmen und erst nach endlosen Debatten zwischen Meister und Werkstattgesellen abgeschlossen wurden. Pünktliches Erscheinen am Arbeitsplatz war ebenfalls eine unbekannte Tugend: Es hatte sich mittlerweile der Brauch durchgesetzt, dass der Meister persönlich seine Arbeiter weckte und sie antrieb, rechtzeitig zu beginnen. Alles Dinge, die der gute Simonis mir zum Glück ersparte.
    Doch die Erzählungen meiner Zunftbrüder kannte ich, o ja! Hatte der Meister endlich erreicht, dass die Gesellen über ihre Arbeit gebeugt sitzen blieben, damit das wenige getan wurde, sie fertigzustellen, forderten diese sogleich lautstark einen zusätzlichen Lohn. In Wien galt nämlich seit Jahrhunderten die Regel, dass das Monatssalär nur ein geringes Arbeitspensum abdeckte, welches in Rom schon als halbe Ferien angesehen worden wäre.
    Erschwert wurde die Lage überdies durch die religiösen Vorschriften. Die Innungen der Handwerker forderten, dass man dem Begräbnis eines Mitglieds beizuwohnen hatte. Dazu gehörte in Wien jedoch der befremdliche Brauch des Leichenschmauses zu Ehren des Verstorbenen. Dieses Bankett war indes alles andere als frugal: eine wilde, zügellose Prasserei, die bis in die späten Abendstunden andauerte. In der Vergangenheit hatten einige Oberhäupter unserer Zunft versucht, das schändliche Phänomen einzudämmen, indem sie erklärten, nur «ein Teil» der Gesellen müsse am Begräbnis teilnehmen. Da sie aber versäumten, die Anzahl genauer zu bestimmen, gingen fast alle hin, und nur wenige waren bereit, den verstorbenen Zunftbruder mit Plackerei statt mit dem Gebrauch ihrer Kaumuskeln zu ehren.
    Nicht viel besser als die Handwerksgesellen benahmen sich die Domestiken. Unermüdlich hatte Pater Abraham a Sancta Clara von der Kanzel und in seinen Büchern gegen die faulen Diener gewettert: «Schwitzen bey dem Essen, aber bey der Arbeit husch! husch!» Domestiken hatten das Recht, dem Dienst fernzubleiben, um an den Messfeiern teilzunehmen. Besonders die Frühmesse um halb sechs Uhr war ihren Herren ein Dorn im Auge, diente sie doch als Lieblingsvorwand, um später mit der Arbeit zu beginnen …
    Geriet eine Herrin mit ihrer Magd in Streit, weil diese allmorgendlich darum bat, zur Frühmesse gehen zu dürfen, brachte sie die gesamte Nachbarschaft gegen sich auf. In Wahrheit gingen die Dienstmädchen nur zum Gottesdienst, um gesehen zu werden, doch kaum hatte die Kirche sich gefüllt, schlichen sie davon und trafen den Geliebten, der gerade an der Reihe war, um mit ihm tanzen ins Kaffeehaus oder in ein Gebüsch im Augarten zu gehen. Und wenn sie sich verspäteten, gaben sie dem armen Pfarrer die Schuld.
    Darum hatten wir bei unserer Ankunft in Wien so viele Mägde durch die Straßen schlendern sehen, als wär’s ein Festtag! Auch der morgendliche Einkauf war eine Gelegenheit zum Zeitvertreib: Den Köchinnen war es zum Beispiel eine so liebe Gewohnheit, sich mit einem schönen «Bassenatratsch» beim Bäcker oder Milchmann

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