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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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der nun vor einem Hintergrund aus düsterem Streichergemurmel seine Arpeggien webte.
    Wir befanden uns im Inneren der Hofburg, in der Ehrwürdigen Kaiserlichen Kapelle, bei den Proben zum Heiligen Alexius . Die Klänge hatten es bereits vermocht, meine liebe Gefährtin zu entspannen und ihren Schrecken über die böse Begegnung im Palais des Savoyers zu beschwichtigen.
    Mit wenigen ausdrucksvollen Bewegungen des Unterarms hielt die Chormeisterin die Masse der Kontrabässe im Zaum, besänftigte die Violinen und verschaffte der schüchternen Laute freie Bahn. Nun stimmte Alexius die sinnigen Verse an, mit denen er den Schmerz seiner ehemaligen Braut zu trösten suchte. Vor vielen Jahren hatte er sie verlassen, und jetzt, da sie ihm wiederbegegnete, erkannte sie ihn nicht:

    Duol sofferto per amore
    Perde il nome di dolor
    Cangia in rose le sue spine
    Più non ha tante ruine ,
    Più non ha tanto dolor … 1 *

    Während die ergreifende Melodie mir Herz und Geist besänftigte, dachte ich zurück an die Ereignisse des Tages. Seit Atto Melanis Ankunft in der Stadt – und noch bevor ich ihn getroffen oder auch nur von seiner Anwesenheit gewusst hatte – war mein ruhiges, beschauliches Leben in Wien zu einem Hexenkessel geworden: zuerst das Abenteuer unter den Löwen im Ort Ohne Namen mit seinem irrwitzigen Fliegenden Schiff, dann die Ankunft der türkischen Ambassade, die ganz sicher keine guten Absichten hegte (man denke allein an Ciezebers Plan, jemandem den Kopf abzuhauen). Darauf das Eintreffen von Atto selbst und sein Versuch, mich in ein internationales Spionagekomplott zum Schaden Eugens von Savoyen zu verwickeln (ausgerechnet der Durchlauchtigste Prinz, der großzügige Arbeitgeber meiner Gattin Cloridia!). Und sollte ich ihn Eugen von Savoyen nennen oder Hundenase? Hatte Atto diesen Spitznamen versehentlich oder in voller Absicht fallenlassen? Kaum war Abbé Melani nach elf Jahren wieder in mein Leben getreten, schon verfluchte ich ihn insgeheim.

    Duol sofferto per amore
    Perde il nome di dolor …

    Schließlich folgte die Entdeckung, dass Ciezeber magische Fähigkeiten besaß, die er in den Dienst obskurer, blutiger Rituale stellte. Als würde das nicht genügen, trieb der Derwisch dunkle Geschäfte mit einem Kerl, der ihm den Kopf eines Menschen bringen sollte und Cloridia zu bedrohen schien. Sogar in der Familie gab es eine sonderbare Neuheit: Meine Frau, die über ihre Vergangenheit und die türkische Mutter, die sie zur Welt gebracht, nie auch nur ein Wort verloren hatte, war unversehens mitteilsam geworden und hatte dabei höchst nützliche Kenntnisse über Derwische und ihre Fähigkeiten offenbart.
    Unterdessen antwortete die Sopranistin Landina, die Gattin Contis, welche den Part der Verlobten des Alexius sang, ihrem ehemaligen Bräutigam, ohne zu wissen, dass er es war:

    Se dar voglio all’oblio
    La memoria di lui , cresce l’affetto
    E se cerco bandir dal cor l’oggetto
    Di rivederlo più cresce il desìo … 2 *
    Was wäre geschehen, überlegte ich, wenn Ciezeber uns im Wald auf dem Kahlenberg entdeckt hätte? In Anbetracht seiner geheimen Kräfte konnte ich mir nur ein grausames Ende ausmalen. Und wenn ich nicht ohnehin demnächst durch irgendeine Zauberei des Derwischs den Kopf verlieren würde, drohte mir auf jeden Fall der Prozess und die Enthauptung, weil ich ein Komplott gegen Eugen, den Oberbefehlshaber des Kaiserlichen Heeres, geschmiedet hatte und dabei obendrein mit einem, wenngleich blinden und gebrechlichen, Geheimagenten des französischen Feindes unter einer Decke steckte. Recht bedacht, war es durchaus nicht selbstverständlich, dass der Brief, mit welchem Eugen sich an die Franzosen verkaufte, den von Atto gewünschten Effekt haben würde: Waren nicht Ilsung und Ungnad, die beiden treulosen Ratgeber Maximilians II., auch nachdem der Kaiser ihren Verrat entdeckt hatte, auf ihrem Posten geblieben? In Anbetracht all dessen war die Begegnung mit Mustafa, dem alten Löwen im Ort Ohne Namen, nichts als ein bescheidener Auftakt zu den tödlichen Gefahren gewesen, denen ich mich in den folgenden Tagen ausgesetzt hatte.
    «Meister Rauchfangkehrer, heute sehe ich Euch blass und nachdenklich.»
    «Wer da?» Ich drehte mich schlagartig um, und mein Herz tat einen Sprung.
    Die Stimme, die mich so misslich hatte aufschrek-ken lassen, gehörte Gaetano Orsini, dem jovialen Kastraten und Freund von Camilla, welcher den Alexius sang.

    Das Orchester hatte die Probe für eine Pause unterbrochen,

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