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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Prophezeiung Einhalt zu gebieten:
    Oesterreich
    Wird die Letzte auf der Welt seyn

    So ward die Angst alsbald vergessen. Doch von den ersten Apriltagen an war ein sonderbares atmosphärisches Phänomen zu beobachten: An manchen Morgen stieg die Sonne nicht mit ihrer gewöhnlichen goldenen Farbe auf, sondern war in ein blutiges Rot getaucht. Auf dem Weg zur Arbeit hatte auch ich der befremdlichen Veränderung mehrmals erstaunt zugeschaut. Manche schrieben es natürlichen Ursachen zu, doch die Wiener brummelten kopfschüttelnd, es sei dies das Vorzeichen eines Unheils: Unschuldiges Blut würde über dem Erzherzogtum Österreich vergossen werden.
    Damit nicht genug, hatte sich als schaurige Krönung der Befürchtungen eine weitere, wunderliche Begebenheit ereignet.
    Der Kaiser weilte in der Kirche, wo sein treuer Freund, der Fürst von Lamberg, der ihn stets zur Treibjagd begleitet und manches Mal eine junge Geliebte vermittelt hatte, begraben lag. Joseph I. fragte einen anwesenden Minister, an welcher Stelle sich der Stein mit dem Grab Lambergs befinde, und der Minister antwortete: «Majestät, direkt unter Ihren Füßen.» Das hatte der junge Kaiser als Vorzeichen gedeutet, er selbst werde seinem Freunde bald nachfolgen.
    Von dem Tag an erzählte man sich in Wien diese traurige Episode, und einige verglichen sie mit dem Praesagium Josephi propriae mortis , also mit der Geschichte aus der Genesis, wo der Erzvater Joseph den eigenen Tod und das Los seiner Lieben vorhersieht, als er zu seinen Brüdern sagt: «Ich muss sterben. Gott wird sich euer annehmen, er wird euch aus diesem Land heraus und in jenes Land hinaufführen, das er Abraham, Isaak und Jakob mit einem Eid zugesichert hat.» Und man erinnerte sich auch daran, dass Kaiser Ferdinand I. im Traum vorhergesehen hatte, er werde am Tag des Heiligen Jakob sterben. So ging eine Reihe düsterer Erinnerungen an berühmte Todesahnungen aus der Bibel, der Geschichtsschreibung oder aus Legenden von Mund zu Mund.

    Ich kehrte zurück in mein Bett und dachte an die Worte der Chormeisterin. Die Voraussicht, hatte sie gesagt, ist die göttliche Gabe der Weisen.

23. Stunde, wenn man in Wien schläft (während in Rom das schändlichste Treiben anhebt)
    Ich war endlich eingeschlummert, als ich ein leises Klopfen an der Tür vernahm.
    «Wer da? Wer begehrt meiner?», rief ich auf Deutsch und sprang im Bett auf. Ich hatte geträumt, bei Ollendorf in der Deutschstunde zu sitzen, und im Schreck des jähen Erwachens hatte ich wie ein Papagei Sätze wiederholt, welche er mir beigebracht hatte.
    «Herr Meister, ich bin es.»
    Simonis: Ich hatte unsere Verabredung um Mitternacht mit Danilo Danilowitsch, seinem Kameraden aus Pontevedro, vollkommen vergessen.
    Binnen weniger Minuten standen wir auf der Straße. Die Müdigkeit verstärkte die Kälteempfindung, und ich wäre liebend gern in mein weiches Bett zurückgekehrt. Glücklicherweise stand sogar eine Kutsche bereit, um die Marter des nächtlichen Ausgangs zu mildern. In Wahrheit war es ein offener Wagen oder, besser gesagt, eine einfache Kalesche. Ein bescheidenes Gefährt von der Art, wie sie für die Beförderung von Personen in unmittelbarer Umgebung der Stadt bestimmt waren. Auf dem Kutschbock saß Penicek, den ich überrascht und gleichzeitig amüsiert grüßte. Nachdem wir eingestiegen waren, erklärte mir Simonis seine unerwartete Anwesenheit.
    «Unser Penicek verdingt sich als Kutscher, um seine Studien zu bezahlen.»
    Da entsann ich mich, dass die Bettelstudenten aufgrund des vom Dekan erlassenen Edikts im Gefängnis der Universität zu landen drohten, wenn sie ohne den monatlichen Erlaubnisschein – welcher indes überaus schwer zu erhalten war – beim Betteln ertappt wurden.
    Simonis fügte hinzu, die Kalesche, in der wir fuhren, sei ein Exemplar der alten «Fliegenschutz», eine offene Kutsche mit einem Netz gegen Insekten.
    «Also arbeitet auch Penicek für jemanden, der eine Lizenz hat, so wie du?»
    «Nun, Herr Meister, es ist nicht immer möglich, eine reguläre Anstellung zu finden wie jene, die Ihr die Güte hattet, mir zu gewähren. Sagen wir, dass Penicek … von den Vorschriften entbunden ist.»
    «Was willst du damit sagen? Hat er keine Erlaubnis, Personen oder Waren zu befördern?», fragte ich beunruhigt.
    «Mhm, offiziell nicht.»
    «Ein Schwarzarbeiter? Wie ist das möglich? Ich weiß, dass jeder, der hier in Wien fährt, strengstens überprüft wird. Die Kutscher unterliegen alle der Kontrolle und

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