Veritas
Die erste war die der angesehenen, hohen kaiserlichen und fürstlichen Beamten: der Vizedome, Hof- und Kriegszahlmeister, des Kaiserlichen Salzamtmanns, Waldmeisters und Eisenamtmanns, der Hofquartier-Meister et coetera . Die zweite Klasse umfasste etwas bescheidenere Gewerbe: Buchhalterei-Räte, Hofmusizi, Contraloren, Garderobiers, Barbiere, Kuchlmeister und so weiter. In der dritten stieg man eine weitere Stufe hinab: Buchhalter, Kanzlisten, Kellermeister, Tapezierer. In der vierten Klasse ging es weiter mit Falknern, Jägern, Trägern, Wächtern, Schulmeistern, Köchen und niederen Angestellten. Der fünften und letzten Klasse schließlich gehörte das gemeine Volk von Gehilfen und Tagelöhnern an.
Für jede Klasse war genau festgelegt, wie viel Geld ausgegeben werden durfte, um sich zu kleiden, zu essen, auszugehen, zu heiraten und sogar zu sterben.
Die Bürger erster Klasse und ihre Angehörigen, zum Beispiel, durften kein Geschmeide aus Gold oder Silber, keine echten oder falschen Perlen, Anstecknadeln, Schmuckknöpfe, Tressen, Schnallen, Dolche oder Schwerter, Brokatstoffe, Stickereien, Steppstiche, Pelze aus Hermelin, Luchs, Fuchs oder Biber, Straußenfedern oder Perücken tragen. Verboten war auch Parfüm. Die Ärmel: ohne Flügel. Die Frauen: keine Locken, keine Röcke oder Kleider von raffiniertem Zuschnitt. Es war verboten, elegante Kutschen zu benutzen, und auch die Schlitten mussten bescheiden sein und nicht zu viele Schnitzereien tragen. Auf der Straße durften sich nur die Männer von einem Diener begleiten lassen, und niemals von mehr als einem. Nicht einmal daheim konnten die Bürger der ersten Klasse sich frei fühlen: Verboten waren schöne Bestecke, Polsterungen, Tischtücher, Stühle, kostbare Vorhänge oder Gegenstände der Kunsttischlerei. Sogar die Stoffe des Baldachins, welcher die Intimität des Ehebettes vor Fremden verbarg, mussten schlicht sein. Bei Hochzeiten durfte man nicht mehr als hundert Gulden für das Bankett, Wein, Blumen und Musik ausgeben; handelte es sich um ein gewöhnliches Essen mit Gästen, nicht mehr als zwanzig. Sogar die Pferde und Leichen der ersten Klasse hatten strenge Auflagen: für die Pferde keine allzu vornehmen Schabracken, für die Toten waren zwölf Grableuchten mit weißen Kerzen erlaubt und nicht eine mehr.
Unnötig, zu sagen, dass der zweiten Klasse eine Menge anderer Dinge verboten waren, der dritten noch mehr und so weiter, sodass es an ein Wunder grenzte, wenn den armen Bürgern der fünften Klasse das Atmen noch erlaubt war.
«Ich verstehe das nicht: Wer passt denn auf, dass all diese Verbote beachtet werden?»
«Das ist doch sonnenklar: die Einwohner Wiens selbst. Und in erster Linie die Studenten.»
Leopold hatte nämlich eine Art Tugendpolizei eingerichtet: eine Truppe aus Spionen, die sich heimlich auf Hochzeiten, Feste und sogar in Privathäuser einschlich, um darüber zu wachen, dass kein Bürger das Gesetz brach. Danilo Danilowitsch war einer von ihnen.
«Studenten, die immer um Geld verlegen sind und einen wachen Verstand haben, gehören zu den besten Spionen», bemerkte Simonis.
Bevollmächtigten Spionen stand ein Drittel der Bußgelder zu, welche die Gesetzesbrecher zahlen mussten, und somit durfte man annehmen, dass sie ihrer Pflicht sorgfältig nachgingen. Freilich war das nicht immer einfach: Wie konnten sie zum Beispiel wissen, ob ein Kleid dreißig, fünfzig oder zweihundert Gulden gekostet hatte? Also wurden Schneider, Pelzmacher und Stickerinnen (unter der Androhung, ihrerseits bestraft zu werden) gedungen, Kunden zu denunzieren, welche ihrer Klasse nicht angemessene Kleider bestellten. Ebenso hatte man Legionen von Köchen und Kombüsendienern (die «Pfannegucker» genannt wurden) angeworben, damit sie ihre allzu gefräßigen Herren anzeigten. Die Tischler meldeten Bestellungen luxuriöser Möbel, die Stoffhändler verrieten den Kauf prächtiger Stoffe, und die Maler verpfiffen Kunden bei den Behörden, die ein zu großes Porträt anfertigen ließen. Für die Anzeige von übermäßigem Prunk bei Kutschen sorgten Fuhrmänner, Kutscher und Postillione.
Mit der Zeit gab es keinen Fleck mehr in Wien, wo nicht ein Spion die Passanten beobachtete: ihre Stiefel (zu hohe Absätze?), ihr Gesicht (französisches Puder?) oder die Schönheitsflecken der Damen (zu viele auf der linken Wange?). Wegen der vielen Spione herrschte in den Küchen Misstrauen, in den Schneiderwerkstätten blickte man sich scheel an, in der Kutsche musterte man
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