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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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finsterer und nachtragender Charakter, war nicht wie ein Zweitgeborener, sondern wie ein künftiger König erzogen worden: der König von Spanien. Und jetzt konnte er sich nicht in das Schicksal fügen, dass er ohne eine Krone auf dem Haupt bleiben sollte.
    Die beiden Brüder hatten sich nun seit acht Jahren nicht mehr gesehen: Karl war 1703 nach Spanien gegangen, um Philipp von Anjou, dem Enkel Ludwigs XIV., die Krone streitig zu machen, und nie wieder nach Wien zurückgekehrt. Doch es hatte zahlreiche Reibungspunkte gegeben: zunächst wegen der Herrschaft über Mailand und Finale, dann wegen der Verwaltung der Lombardei, schließlich wegen Neapel, wo beide ihre jeweiligen Schützlinge gegeneinander aufhetzten. Auch wenn ganze Nationen, Heere, Meere und Gebirge zwischen Österreich und Spanien lagen und die Brüder voneinander trennten, dachte Karl doch jeden Tag, jede Stunde, jeden einzelnen Augenblick voll Neid an den Bruder. Eine feine Erbschaft hat der Vater Joseph hinterlassen, dachte ich: die Ungunst der Minister, die Rivalität mit dem Bruder und jene sonderbare jugendliche Naivität, die ihn mancherlei Gefahren aussetzen musste, zum Beispiel den Manövern des Abbé Melani.

    Während ich noch so nachdachte, stieg ich aus dem Bett und ging auf Zehenspitzen zu meinen alten Papieren. Da der Schlaf mich jetzt vollends geflohen hatte, bekam ich Lust, jene Lektüre der Schriften über meinen geliebten Joseph fortzusetzen, die so bald wie möglich abzuschließen ich mir in den vergangenen Tagen vorgenommen hatte.
    Jetzt wollte ich dort nicht mehr nur Antworten auf meine Fragen nach dem Ort Ohne Namen finden. Nein, jetzt, da Abbé Melani gedachte, Joseph I. mit meiner Hilfe die Beweise für den Verrat des Savoyers zu überbringen, beherrschte der Kaiser meine Gedanken noch stärker als zuvor.
    Ich begann, die Papiere in deutscher Sprache durchzublättern. Ein Bericht über seine Hochzeit fiel mir in die Hände:

    Pompöser Einzug Ihro Königl . Mayest . Josephi Römisch : und Hungarischen Königs/etc . Mit Ihro Mayestätt Wilhelmina Amalia , Röm . Königin/ Als Königl . Gespons /etc . So Den 24 . Februarij 1699 . zwischen 4 . und 5 . Uhr

    Während ich die Beschreibung überflog, die nach Art teutonischer Gazetten mit langweiligen Einzelheiten in Hülle und Fülle aufwartete, entsann ich mich anderer Stimmen, die ich über Joseph in der Stadt gehört hatte. Wie viel reizende Treuherzigkeit in seinem Verhalten gewesen sei, wie viel jugendliche Spontaneität, wie viel noble Gesinnung! Für den listigen Abbé Melani wäre es also ein Kinderspiel gewesen, sich das Vertrauen des jungen Herrschers zu erwerben, wenn er nur ein vollkommenes Italienisch gesprochen und verhehlt hätte, dass er ein französischer Gesandter war. Wenn Atto nun doch mit den Türken unter einer Decke steckte?
    Erst nachdem Joseph sich verehelicht hatte (er hatte die deutsche Prinzessin Amalia Wilhelmine von Braunschweig-Lüneburg geheiratet), gestattete Leopold ihm, sich wieder mit den Staatsgeschäften zu befassen. Doch inzwischen hatte der junge Mann sich den Hass der väterlichen Minister zugezogen.
    Am 5. Mai 1705 verschied Leopold nach einem halben Jahrhundert Regierungszeit. Die Situation im Reich war äußerst ernst: Entsetzlich tobte der Krieg gegen Frankreich und seine Verbündeten, ganze Armeen standen bereit, in österreichisches Gebiet einzufallen. Das System der Steuereinziehung war praktisch zusammengebrochen, die Finanzlage verheerend, die Kaiserliche Kammer stand vor dem Ruin. Im Heer herrschte Durcheinander, die Milizen waren schlecht bewaffnet, die Männer undiszipliniert. Die kaiserlichen Territorien (das rebellische Ungarn, die unruhigen Regionen Italiens, das stets unfriedliche Böhmen) drohten ihrer Kontrolle zu entgleiten.
    Während der Trauerfeier für Leopold wagte ein Jesuit, der Hofprediger Wiedemann, Joseph zu warnen: Nur ein Prinz, der von Jesuiten erzogen wurde, könne hoffen, mit glücklicher Hand und Erfolg zu regieren.
    Joseph ließ sich nicht einschüchtern: Er verbannte den Jesuiten außer Landes und ließ die zweitausend gedruckten Exemplare seiner Rede beschlagnahmen. Den anderen Jesuiten am Hofe kündigte er an, sie würden von nun an in politischen Angelegenheiten nicht mehr mitreden können. Darauf entließ er die unfähigen Minister und Funktionäre, die seinem Vater so teuer gewesen waren, einen nach dem anderen und berief neue, junge Männer, die ihm gerne dienen wollten. Der Einzige, der nicht nach

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