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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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privates Heer sowie befestigte Schlösser in der Stadt besaßen und regelmäßig mit verfeindeten Familien Krieg führten) überdies in Wahrheit jüdischer Abstammung: Ihr Stammvater, ein gewisser Baruch, war nämlich ein zum Christentum konvertierter Jude, und die bekannte Legende, nach der einige Päpste in Wirklichkeit heimlich Juden gewesen sein sollen, beruht just auf der wahren Geschichte der Pierleoni. Die Juden aber waren Kaiser Leopold I. alles andere als lieb, ja, er hatte sie in Wien in ein Ghetto jenseits der Donau verbannt, die Leopoldinsel, just an den Ort, wo die Türken bei der Belagerung im Jahre 1683 ihr Lager aufgeschlagen hatten.
    «Kurzum», schloss Atto, indem er mich lachend unterhakte, «die so glorreiche römische Familie, auf welche man das kaiserliche Blut der Habsburger zurückführen wollte, bestand aus Päpsten, die hier in Wien schon seit langem vielen gegen den Strich gehen, aus Juden, die dem Kaiser Leopold I. ein Dorn im Auge waren, und aus Italienern, die ohnehin unerwünscht sind – man sehe sich nur an, wie die Strassoldo, diese Gans, sich benimmt.»
    Unterdessen waren wir auf Camilla de’ Rossi gestoßen. Cloridia hatte sie beiseitegenommen, und nun standen die beiden, in ein angeregtes Gespräch vertieft, vor einer kleinen Gruppe Elevinnen. Wir näherten uns der Gruppe und kamen in dem Moment hinzu, als meine Frau gerade Fragen der Novizinnen beantwortete, die auf diese sonderbaren Italiener aus der fernen Stadt des Papstes sehr neugierig waren. Camilla übersetzte aus dem Deutschen ins Italienische und umgekehrt.
    Die jungen Mädchen (alle aus besten Familien und von wahrhaft vollkommenen Umgangsformen) fragten nach Rom und seinen Sehenswürdigkeiten, nach dem Papst und dem römischen Hof und schließlich nach unserer Vergangenheit. Ich spitzte ein wenig besorgt die Ohren, denn Cloridia musste den Makel des schändlichen Gewerbes verbergen, das sie, ein Opfer ihrer nachteiligen Lebensumstände, in der Jugend ausgeübt hatte.
    «An meine Kindheit habe ich nicht mehr viele Erinnerungen», antwortete sie, «außerdem war meine arme Mutter eine Tü …»
    Just als sie sagen wollte, dass ihre Mutter Türkin war, spürte ich, wie Atto leicht zusammenzuckte und seine runzelige Hand meinen Arm drückte. Camilla de’ Rossi riss die Augen auf und unterbrach Cloridias Rede brüsk: «Wohlan, meine Lieben, jetzt ist es Zeit, sich an die Arbeit zu machen, wir haben schon zu lange geplaudert.»
    Kaum hatte sich das Grüppchen der Novizinnen entfernt, nahm Camilla meine Cloridia beim Arm und erklärte uns, warum sie die Konversation so abrupt beendet hatte.
    «Vor einigen Jahren taufte Kardinal Collonitz in der Kirche der Heiligen Ursula in der Johannesgasse, nicht weit von hier, eine junge türkische Sklavin, die einem Hauptmann, dem Spanier Gerolamo Giudici, gehörte, und gab sie dann in dieses Pensionat in der Himmelpforte. Sofort protestierten die Nonnen, die ausschließlich Sprösslinge adeliger Familien beherbergten, denn sie fürchteten, die Himmelpforte könne ihren guten Namen verlieren. Giudici beharrte auf seiner Entscheidung, und der Streit ging bis vor den Kaiser und das Konsistorium. Diese aber gaben den Ordensfrauen recht: Die junge Türkin wurde abgelehnt.»
    Die Ärmste hatte im Grunde Angst, in einem Kloster eingesperrt zu werden, fuhr Camilla fort. Da sie fürchtete, Giudici würde früher oder später eines finden, das sie aufnahm, floh sie eines Nachts. Trotz langer Suche gelang es niemandem herauszufinden, wohin sie sich geflüchtet hatte oder mit wem.
    «Ihr werdet also verstehen, Freunde», schloss Camilla, «dass gewisse Themen hier nicht angesprochen werden können.»
    Collonitz. Dieser Name kam mir bekannt vor. Wo hatte ich ihn schon einmal gehört? Doch ich fand keine Antwort auf meine Frage. Die Botschaft indes war eindeutig: Wenn jemand im Himmelpfortkonvent erfuhr, dass Cloridia Tochter einer türkischen Sklavin war, würden wir wahrscheinlich genötigt werden, das Haus unverzüglich zu verlassen.

    Eine Viertelstunde später stand ich mit Atto und Domenico im Stephansdom. Cloridia war unterdessen in Eugens Palais gegangen.
    Hier herrschte während der Messe eine ganz andere Atmosphäre als in St. Agnes. Dazu muss ich sagen, dass man unter der Woche in den Vespern nur ein Häufchen alte Weiber und ein paar Bettler sah, die Sonntagsmessen am späten Vormittag aber so überfüllt waren, dass man von Kirche zu Kirche laufen musste, um überhaupt einen Platz zu

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