Veritas
du statt aufrichtiger Verehrung leere Schmeichelei? Gott der Heere, schmiede meine Soldaten auf deiner Esse! Banne ihre Furcht, nimm ihnen das Vermögen zu zählen, wenn die Überlegenheit der Gegner sie erschreckt. Entsinne dich nicht gerade morgen der Bestechung, mit der mein Ahne Karl V. sich die heilige Krone des Reiches erkaufte! Büßte er doch bereits, indem er abdankte und zum Mönch wurde. Jeden Tag lasse ich Messen für seine Seele lesen, Kirchen und Klöster haben mein Vater und ich errichten lassen, um das schändliche Gold der Geldverleiher von unserer Krone abzuwaschen! Ach, warum will es nie Tag werden? Alles und jedes um mich herum erwartet meinen Wink. Morgen will ich eine Meile im Trab reiten und eine mit Franzosen gepflasterte Straße hinter mir lassen!»
Abbé Melani, dem neuen Homer, versagte die Stimme.
Die Morgenröte zieht auf, endlich wird gekämpft. Abermals kann der Angriff auf die Festung zurückgeschlagen werden. Doch es wird offenbar, dass Landau im Begriff ist zu fallen. Die Soldaten sind erschöpft, sie wollen dem Kampf ein Ende machen und dem französischen Feind direkt an die Gurgel springen, ihn niedermetzeln, seine Frauen vergewaltigen, sein Haus plündern und brandschatzen. Wie in jedem Krieg wird der Mensch zur Bestie.
Da erscheint Joseph allein zu Pferd vor den Mauern der Festung, gerade so nah an den Bastionen, dass er nicht getroffen werden kann, zückt sein Schwert und ruft:
«Männer von Landau! Habt Mitleid mit Eurer Stadt und Euren Bürgern, solange ich meine Soldaten noch in Schach halten kann, solange die kühle Luft der Gnade die giftigen Wolken des Massakers, der Plünderung und aller Gräuel des Krieges noch von Euch fernhält. Andernfalls bleibt nur noch ein Augenblick, und Ihr werdet sehen, wie der kaiserliche Soldat, berauscht vom Blutgeruch, die Schöpfe Eurer weinenden Töchter besudelt, Eure Väter an den weißen Bärten packt, ihre ehrwürdigen Köpfe an den Mauern zerschlägt und Eure nackten Kinder auf die Piken der Gewehre spießt, während die vor Schmerz rasenden Mütter mit verzweifelten Schreien die Wolken zertrümmern!»
Von der Höhe der Wehranlagen blickte, auf seinem Pferd sitzend, der Gouverneur Melac herab. Schweigend hörte er zu. Das Entsetzen hatte ihm tiefe Furchen ins Gesicht gegraben.
«Was also sagt Ihr», schloss der Deutschrömische König, «wollt Ihr Euch ergeben? Oder wollt Ihr Euch des Widerstands schuldig machen und vernichten lassen?»
Am 9. September lässt Melac die weiße Fahne hissen, am nächsten Tag wird die Kapitulation vollzogen, auf welche der Austausch der Gefangenen folgt. Am 11. September ist alles vorbei.
Wie versprochen, zügelt Joseph seine Soldaten: Den Belagerten darf kein Haar gekrümmt werden. Ein Kaiserlicher, der einen Hostienkelch aus einer Kirche gestohlen hat, wird auf persönlichen Befehl des Königs sofort gehenkt. Ungerührt wohnt er der Exekution bei, obwohl der Verurteilte einer seiner liebsten Soldaten war. Die Mütter, welche in der Nacht zuvor noch im Dunkel ihrer Häuser kauerten und, die Neugeborenen an die Brust gedrückt, schreckensstarr Josephs drohende Worte vernommen haben, knien nun vor ihm nieder, um seine Kaiserlichen Insignien zu küssen. Am nächsten Tag ziehen die Franzosen ab; Melac muss besiegt vor den Deutschrömischen König treten. «Großer König», hat der französische Gouverneur ihn angeredet, dankbar, dass Joseph der Stadt die entsetzlichen Gewalttaten der Soldateska erspart hat, die seit jeher auf eine Belagerung folgen.
Marsili hatte vorausgesagt, dass Landau dank seiner militärischen Künste innerhalb einer Woche fallen würde. Doch das Ingenium des Italieners benötigte, im Verein mit dem Heldentum seines jungen Monarchen, noch weniger: Vier Tage hatten genügt.
Atto machte eine Pause. Er war außer Atem. In meiner Sammlung von Schriften über den Kaiser Joseph I. gab es verschiedene Berichte und Lobeshymnen auf seine Heldentaten in Landau, doch leider alle auf Teutsch und daher im teutonischen Stil geschrieben: überreich an langweiligen Einzelheiten und ohne Anekdoten. Die Erzählung Abbé Melanis hingegen hatte mich mitten in das fiebrige Schlachtgetümmel, ja, in die Seele meines Herrschers versetzt.
Ich staunte, welch große Bewunderung, wenn nicht gar Liebe zu diesem jungen Cäsaren aus den Worten des Kastraten sprachen. Ausgerechnet er, den ich bisher nie andere Monarchen als seinen Sonnenkönig hatte rühmen hören!
«Herr Onkel, um diese Zeit solltet
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