Veritas
Jahren den genialsten seiner Festungsbaumeister, den berühmten Vauban, mit der Verstärkung der Bollwerke beauftragt. Kurz darauf hatte eine unerklärliche Feuersbrunst drei Viertel der Wohnhäuser der Stadt zu Asche werden lassen, worauf Vauban diese bequem in eine wehrhafte Festung hatte verwandeln können.
Es war zu Beginn des Jahres 1702, der Krieg um die spanische Erbfolge tobte schon in Oberitalien, und alle erwarteten, dass die Kämpfe auch auf deutschem Boden ausbrechen würden.
Tatsächlich beginnen die österreichischen Truppen Ende April, Landau zu umzingeln, und besetzen alle Zufahrtswege zur Stadt. Am 19. Juni legen die Kaiserlichen einen Schützengraben an. Acht Tage später, am 27. Juli, hört man einen kolossalen Donnerhall: Mit Kanonenschüssen begrüßt das Kaiserliche Heer die Ankunft Josephs, des damals vierundzwanzigjährigen Deutschrömischen Königs und Kronprinzen des Reiches.
Sofort schickt Melac, der französische Kommandant der Zitadelle, einen Herold ins feindliche Lager, dem ein Trompeter vorausgeht. Der Herold überbringt dem König eine Nachricht: Der Kommandant beglückwünsche ihn ehrerbietig zu seiner Ankunft und bitte ihn, den Ort anzugeben, wo er sein Zelt aufzustellen gedenkt, auf dass es von Kanonenschüssen verschont bleibe.
«Was soll das heißen?», wunderte ich mich. «Erboten die Franzosen sich wirklich, ausgerechnet den Anführer der gegnerischen Truppen zu verschonen?»
«Kannst du Schach spielen?»
«Nein.»
«Nun, dann wisse, dass beim Schachspiel der König, das Oberhaupt des feindlichen Heeres, niemals getötet wird. Wenn die Figuren des Gegners ihn mit einem ausweglosen Zangengriff bewegungsunfähig gemacht haben, sagt man ‹Schachmatt›, und die Partie ist beendet. Der besiegte König muss kapitulieren, aber er stirbt nicht. So geschieht es auch bei wirklichen Herrschern: Man tötet sie nicht. Ihre Ranggleichen und die Generäle kennen und respektieren diese alten militärischen Usancen.»
Joseph aber, ging die Erzählung weiter, lehnt Melacs Angebot heldenhaft ab: «Mein Zelt ist allerorten, Ihr mögt schießen, wohin Ihr wollt. Und du, höflicher Herold, spare dir die Mühe, kehr nicht mehr zurück. Sag deinem Kommandanten, er werde keine andere Antwort von mir bekommen als mein Gebein. Dies wird seinen Leuten, wenn sie es denn so empfangen, wie ich es Euch zu überlassen gedenke, nichts einbringen.»
Dann wendet er sich an die Seinen, die höchst besorgt sind wegen der Gefahr, der ihr Oberbefehlshaber sich aussetzen will: «Wenn ich mein Pferd besteige, fliege ich und bin ein Falke. Mein Pferd ist reine Luft und Feuer. Und niemand, nicht einmal die Franzosen, vermag auf einen Falken zu schießen.»
In den folgenden Tagen besucht Joseph die Schützengräben, während überall die Musketenkugeln durch die Luft fliegen. Ein Ehrenkämmerer legt ihm nahe, sein kostbares Leben nicht aufs Spiel zu setzen. Joseph bescheidet ihn knapp: «Wer Angst hat, möge nach Hause gehen.»
Am 28. Juli lässt er das Heer in Schlachtordnung aufmarschieren, nachdem er die Ausrüstung persönlich untersucht hat. In der Nacht vom 16 . auf den 17. August wird die Zitadelle angegriffen. Die Franzosen können dreimal tapfer Widerstand leisten. Doch unterdessen haben sich die Kassen der Garnison von Landau geleert. Melac zögert nicht: Er wird aus eigener Tasche zahlen.
«Was soll das heißen?»
Atto hielt mir das sonderbare, schwärzliche Silberstück hin, das ich ihm überreicht hatte.
«Das betrifft abermals die guten Konventionen des Krieges, von denen ich dir sprach. Kein richtiger Kommandant würde je dulden, dass seine Männer ohne Bezahlung kämpfen. Domenico, würdest du mir bitte das Kissen hinter den Rücken schieben?»
«Gewiss, Onkel.»
Also lässt Melac die silbernen Teller seines Tafelgeschirrs zerschlagen, und mit einem notdürftig zurechtgezimmerten Prägeeisen werden darauf die Münzen von Landau geprägt. Es sind rohe, armselige Stücke, keines so wie das andere, eines rechteckig, eines quadratisch, eines dreieckig, fast wie unechtes Geld für Kinderspiele.
«Nicht einmal die Punzen, die zur Hälfte von einem französischen und zur anderen Hälfte von einem deutschen Goldschmied gefertigt waren, glichen einander. Dennoch war jede einzelne dieser Münzen ohne Kurswert nicht mit Gold aufzuwiegen, mein Junge», sagte Atto mit feierlichem Ernst, «denn sie waren geboren aus den noblen Gesetzen des Krieges.»
«Dann war diese wunderliche Münze also das Geld
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