Veritas
hat.»
Mit heiterer Miene streichelte Atto die Münze. Wenn Joseph den verräterischen Brief Eugens erst einmal gelesen hatte, würde es nur noch ein kleiner Schritt zum Frieden sein.
«Wenn diese kleine Pálffy sich doch nur ködern ließe», brummte er, worauf ein gewaltiges Gähnen sich seiner bemächtigte und ihn bewog, wieder unter die Decke zu kriechen, in Morpheus’ Arme.
Auf dem Rückweg in meine Gemächer im anderen Flügel des Klosters kam mir Cloridia entgegen.
«Liebster», sagte sie, die Arme ausbreitend, «es ist ein fürchterlicher Tag gewesen.»
«Du weißt gar nicht, wie sehr», entgegnete ich.
«Was willst du damit sagen?»
Ich erzählte ihr, was geschehen war. Zum Schluss standen wir einander zitternd gegenüber, erschüttert über die Gewalttat, die sich jetzt zum zweiten Mal in unserem Umkreis ereignet hatte. Ich berichtete ihr auch von der Geschichte der Münze aus Landau.
«Gott sei Dank bist du da!», sagte sie.
«Warum? Was ist dir geschehen?»
«Du bist nicht der Einzige, der heute Schlimmes erlebt hat. Ich bin im Palais des Prinzen verfolgt worden.»
«Verfolgt? Von wem?»
«Von dem Ungeheuer, das die Münzen aus Landau gestohlen hat. Immer wieder tauchte er in meiner Umgebung auf. Wenn ich in die Küche ging, sah ich, wie er mir von weitem folgte. Kehrte ich aus dem zweiten Stock zurück, kam er aus irgendeiner Ecke hervor. Ich habe mich eilig entfernt, aber kurz darauf hatte ich ihn schon wieder im Rücken: Ich gehe weg, er ist schon da, ich fort, er wieder da. Es war zum Verrücktwerden. Wenn du ihn gesehen hättest … Zuletzt hat er sogar einen Halbkreis um mich herum gemacht und dann mit einem schrecklichen Grinsen seine spitzen, braunen Zähne entblößt, brrr! Da habe ich mich hierhergeflüchtet.»
«Aber wer ist das nur, und was will er?», rief ich erregt aus. «Er verspricht dem Derwisch einen abgeschnittenen Kopf, dann starrt er dich an, verfolgt dich, stiehlt die Münzen des Prinzen Eugen … Welcher Zusammenhang besteht zwischen alldem?»
«Ich weiß nur, dass einer mit so einem Gesicht zu allem fähig ist. Auch zu dem, was man Hadji-Tanjov angetan hat.»
Doch die traurigste Nachricht des ganzen Tages sollten wir noch hören.
Um uns ein wenig zu erholen, gingen wir in den Kreuzgang und beobachteten unseren Kleinen beim Spielen. Anschließend begaben wir uns in die Kirche des Klosters. Gebrochen von all dem Bösen, das uns umgab, verspürten wir das Bedürfnis, uns im Gebet zu sammeln und den Allerhöchsten um Schutz und Erbarmen anzuflehen.
Doch als wir in den kalten, weihrauchgeschwängerten Halbschatten traten, sahen wir, dass die ganze Kirche mit Ordensschwestern der Himmelpforte gefüllt war. Sie hatten sich vollzählig zum Rosenkranzgebet versammelt. Das erstaunte uns sehr: Diese späte Stunde war gewiss keine übliche Gebetszeit im Kloster. Wir machten ein Kreuzzeichen, knieten in einem hinteren Eckchen nieder und stimmten inbrünstig in das Gebet ein, um Gottes Gnade für die Seelen der beiden armen ermordeten Studenten flehend.
Nach dem Rosenkranz folgte das Bittgebet an die Heilige Jungfrau der Himmelpforte. Wir hörten, wie sich nach und nach unter die Litanei der Nonnen, gleich einem Kontrapunkt, ein undeutliches Murmeln mischte, darin wir bald ein Schluchzen erkannten. Jemand weinte. Als wir uns umsahen, erblickten wir links vom Altar, unter der Statue der Heiligen Jungfrau der Himmelpforte kniend, die Chormeisterin mit bebender Brust. Im selben Augenblick noch verwandelte sich der fragende Blick, den Cloridia und ich wechselten, in ungläubige Bestürzung:
« Pro vita nostri aegerrimi Cesaris , oramus », hörten wir die Vorbeterin rufen.
«Wir beten für das Leben unseres schwererkrankten Kaisers.» Wie ein eisiger Sturmwind peitschten uns diese Worte. Einen Augenblick lang hoffte ich, mich verhört zu haben, doch die kummervolle, ängstliche Miene, mit der Cloridia sich die Hand an die Stirn schlug, war mir eine traurige Bestätigung. Dem Kaiser ging es schlecht? Der Erlauchte Cäsar, unser inniggeliebter, strahlender Jüngling Joseph der Erste, schwebte gar in Lebensgefahr? Was war geschehen? Und warum hatten wir nichts davon erfahren? Doch es war unmöglich, in diesem Moment Fragen zu stellen, wir mussten das Ende des Gebets abwarten. Sie schienen nicht enden zu wollen, diese Minuten, die uns von der Aufklärung über die unerwartete Nachricht trennten. Endlich leerte sich die Kirche, Camilla erhob sich und wandte sich zu uns um. Kaum sah
Weitere Kostenlose Bücher