Veritas
aber aus einer Armeleutegegend in den Bergen, nicht zu vergleichen mit meiner Region.» Er erhob die flache Hand, um zu zeigen, dass er aus sehr viel gesitteteren Gefilden stammte. «Es gibt nämlich so ein und so ein Rumänien. Ich bin am Schwarzen Meer geboren und ein Prinz!»
«O ja, gewiss, Durchlaucht», versetzte Simonis und zwinkerte mir zu, belustigt über die feinen Unterscheidungen seines «halbasiatischen» Studienkameraden.
«Der Vater des Jungen ist ein Kriegsgefangener der Türken gewesen», fuhr Populescu unterdessen fort, «und kennt viele osmanische Legenden. Er hat versprochen, uns ein paar nützliche Informationen zu liefern.»
«Wie nützlich?», fragte ich zweifelnd.
«Er behauptet, dass er weiß, woher der Goldene Apfel kommt und wo er gelandet ist.»
«Hör zu, Dragomir», unterbrach ich ihn, «ich muss mit dir sprechen. Du musst aufhören, zu …»
Doch der Rumäne hatte mich nicht gehört, denn wir waren schon angekommen. Populescu stieg aus Peniceks Kalesche und bedeutete Simonis und mir, auf ihn zu warten.
Mein Gehilfe wandte sich in besorgtem Ton an mich:
«Wenn ich mir erlauben darf, Herr Meister … Bevor Ihr mit Dragomir sprecht und ihm sagt, er solle die Ermittlungen einstellen, wäre es vielleicht besser, sich anzuhören, was sein Informant über den Goldenen Apfel zu erzählen hat. Wir sind doch fast am Ziel. Ich möchte nicht riskieren, dass mein Kamerad das Weite sucht, wenn er hört, dass der Derwisch ein Mordkomplott schmiedet.»
Ich schwieg einen Augenblick.
«Du hast nicht ganz unrecht», konzedierte ich dann. «Schließlich sind wir im Moment zu viert. Ich glaube nicht, dass Populescu in Lebensgefahr schwebt.»
Simonis betrachtete mich schweigend, er wartete auf mein letztes Wort.
«Na gut. Ich werde hinterher mit ihm sprechen», sagte ich.
Simonis blieb stumm. Er schien erleichtert.
Es war tiefe Nacht, und wir befanden uns noch immer auf der Leopoldinsel vor der Tabor Schantz. Der Pennal hatte seine Kutsche in der Nähe eines seltsamen Gebäudes abgestellt, von dem ich nie zuvor gehört hatte: dem Hetzhaus. Es war ein hohes Holzhaus mit kreisförmigem Grundriss, aus welchem ungeachtet der späten Stunde ein infernalisches Stimmengewirr drang, halb menschliche Schreie, halb Tierlaute.
«Was geht dort drinnen vor sich?», fragte ich Simonis.
«Habt Ihr denn nie vom Hetzhaus gehört, Herr Meister?»
«Ich muss zugeben, nein.»
Just in diesem Moment kehrte Populescu zurück.
«Heute Abend ist es sehr voll. Kommt mit mir, zusammen finden wir ihn schneller.»
Der Pennal wartete, wie üblich, draußen auf uns. Wir gingen auf den Eingang zu, wo uns ein riesenhafter Koloss anhielt.
«Zuseher oder Herrl?»
«Erkennst mich denn net, Helmut?», entgegnete Populescu, «ich such den Zyprian.»
Der Riese antwortete, er habe den Mann vor etwa einer Stunde gesehen, wisse aber nicht, ob er noch in der Nähe sei. Dann gab er uns den Weg frei. Ich blickte Simonis fragend an.
«Bald werdet Ihr alles verstehen, Herr Meister.»
Der Eingang war ein schlichter Korridor, niedrig und eng, der in die Mitte des hölzernen Gebäudes führte. Je weiter wir voranschritten, desto lauter wurde der Lärm, und ich konnte Geräusche zweifacher Art unterscheiden: Schreie von Männern und das Kreischen von Hühnern. Schließlich gelangten wir in ein weites Amphitheater, das von zahlreichen Fackeln erhellt wurde. Im Erdgeschoss befanden sich Kammern, in denen wilde Tiere eingeschlossen waren. Sobald sich eine Falltür hob, wurden sie auf den Kampfplatz gelassen. Neben den Kammern lagen der Eingang für die Zuschauer und große Zwinger für die Hunde.
Eine Menschenmenge drängte sich schreiend und wild gestikulierend um die Arena. Der Lärm war jetzt ohrenbetäubend, dazu gesellte sich ein erstickender Gestank von wilden Tieren, Schweiß und Urin. Die Masse, ausnahmslos männlichen Geschlechts, bestand aus groben, beleibten Bauern, Pöbel und zwielichtigem Pack.
«Willkommen im Hetzhaus», sagte Simonis, indem er mich auf die Szene hinwies, die sich in der Mitte des Amphitheaters abspielte. Populescu befragte derweil einen Nachbarn. Wir näherten uns dem Schauspiel. Eine Gruppe hünenhafter Kerle mit rauflustigem Gebaren kam an uns vorbei und grüßte Dragomir mit rauer Herzlichkeit.
Als ich zwischen den Männern hindurchspähte, erblickte ich endlich die Szene, welche hier so große Aufmerksamkeit erregte. In der Arena massakrierten sich zwei große Hähne gegenseitig mit
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