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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Nachbar, der noch lebt, das Doppelte davon erhält. ‹Dann nehmt mir ein Auge›, sagt der Bauer mit einem boshaften Lächeln. Seht Ihr, so behandeln sich diese Leute aus Halb-Asien gegenseitig.»
    Nach Zyprians Schreien zu urteilen schien es wirklich, als ließe Populescu ihm auch noch sein zweites Auge ausstechen.
    «Glaubt mir, Herr Meister, in jenen Gegenden lebt der Mensch noch im Naturzustand», ereiferte sich der Grieche. «Lasst Euch nicht täuschen: Die Wildheit von Ländern wie Pontevedro hat nichts Paradiesisches oder Idyllisches, es ist ein Zustand tiefsten Dunkels, dumpfer, nebliger, tierischer Rohheit, eine ewige kalte Nacht, in welche kein Strahl der Bildung, kein warmer Hauch der Menschenliebe dringt. Dort herrscht weder heller Tag noch dunkle Nacht, sondern ein seltsames Zwielicht, dem sowohl unsere Sittlichkeit als auch die Barbarei Turans fehlt, denn es ist eben ein Gemisch von beiden: Halb-Asien.»
    «Das genügt erst einmal», hörten wir Dragomir zu dem Schlächter sagen. Als wir näher kamen, sahen wir, dass er sein Knie in den Bauch des Jungen gebohrt hatte und sich anschickte, erneut zuzuschlagen.
    Ich war erschüttert über die Gefühlskälte, mit der Dragomir Populescu, dieser scheinbar unschuldige Student mit Doppelleben, den Berserker auf den armen Jungen losgelassen hatte. Es war offensichtlich, dass unser Begleiter nicht zum ersten Mal jemanden verprügeln ließ. Nur wer der Welt des Verbrechens angehört, dachte ich, setzt so unbefangen rohe Gewalt ein. Falschspieler, Betrüger, Kuppler, Spione und Buhler. Simonis hatte nicht ganz unrecht: Seine Kameraden mochten sich ja Studenten nennen, in Wahrheit aber waren sie alles andere als Liebhaber der schönen Künste und Wissenschaften.
    Zyprians Widerstand schien gebrochen. Der Junge lag auf dem Boden, Blut rann ihm von der Unterlippe, und sein Auge schwoll zusehends an. Er nuschelte etwas.
    «Lauter», befahl Populescu und schüttete ihm das Bier über den Kopf.
    Zyprian schwieg. Auf einen erneuten Wink Populescus trat Klaus ihm kräftig in die Rippen.
    Der Junge wimmerte und drehte sich auf die Seite.
    «Ist das jetzt nicht ein bisschen übertrieben?», mischte ich mich ein.
    «Schsch!», brachte Populescu mich zum Schweigen. «Also, Zyprian, was hast du uns über den Goldenen Apfel zu sagen? Meine Freunde sind deinetwegen hier.»
    Zyprian hatte wieder in seiner Sprache zu reden begonnen, diesmal mit etwas lauterer Stimme. Um uns an seinem Gestammel teilhaben zu lassen, übersetzte Dragomir. Von Zeit zu Zeit unterbrach er sich und forderte den Jungen auf, Worte zu wiederholen, die er wegen der geschwollenen Lippe undeutlich ausgesprochen hatte:
    «Alle reden vom Goldenen Apfel, er ist das Geheimnis jeder Macht. Alle suchen ihn, aber keiner weiß, wo er sich befindet. Eines Tages hatte der Scheich Ak ş emseddin in Konstantinopel eine Vision: Er erkannte die Stelle, wo Eyyub begraben liegt, der Bannerträger des Propheten Mohammed, der während der siegreichen Belagerung der Stadt gestorben war.»
    «Eyyub!», begriff Populescu und wandte sich mit triumphierender Miene zu uns um. «Das ist der Name, den Danilo erwähnte, bevor er starb! Dann ist er also der Bannerträger Mohammeds, von dem mir meine hübsche Brünette aus dem Kaffeehaus erzählt hat …»
    Zusammen mit dem Sultan Mehmed und drei Männern grub Ak ş emseddin drei Tage lang ein Loch an der Stelle, die ihm im Traum erschienen war. Schließlich entdeckten sie in drei Ellen Tiefe einen großen grünen Stein, dessen Inschrift in kufischen Buchstaben lautete: «Dies ist das Grab des Ebû Eyyub El-Ensârî». Unter dem Stein fanden sie den Leichnam Eyyubs in ein safrangelbes Schweißtuch gewickelt. Sein Antlitz war so schön, dass es schien, er sei gerade erst verstorben. In seiner gesegneten rechten Hand hielt er eine Mühre.
    «Eine was?», unterbrach Simonis.
    «Für die gemeinen Menschen», erklärte Zyprian, «ist sie nur ein kleiner runder Gegenstand, wie die Kugeln, die man benutzt, um Papier zu glätten. Doch für den, der mit Weisheit gesegnet ist, ist sie unendlich viel mehr: ein Stein göttlichen Ursprungs mit magischen Kräften.»
    «Ist diese Mühre vielleicht der Goldene Apfel?», fragte ich.
    «Die Mühre bildet sich im Kopf einer Schlange von königlichem Geblüt», ging Zyprians Gestammel in der Übersetzung von Populescu weiter, «und ist in Wirklichkeit solare Materie. Sie wird durch sieben Hautschichten geschützt, die nacheinander abfallen. Darum muss sie an

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