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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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als über der Erde geben soll.
    «Wenn du nicht sofort gestehst, reiße ich dir deine geliebten Schlüssel sämtlich vom Leib und werfe sie fort!», drohte ich.
    Ugonio begann zu wimmern und sagte, wenn es sich so verhalte, könne er mir etwas mehr über die Sache enthüllen, allerdings nicht vor morgen. Lieber würde er in der Hölle enden, als jetzt zu sprechen. Und auch in den fürchterlichen kaiserlichen Verliesen zu verschmachten, wo ihn – das wusste er genau – Folter und Verstümmelung erwarteten, sei ein weit angenehmeres Los als das Ungemach, das ihn erwartete, wenn er uns seine geheimen Abmachungen mit dem Derwisch enthüllte.
    Ugonios Angst war praktisch ein Geständnis. Nun zweifelte ich nicht mehr: Atto war es gewesen, der ihn aufgespürt und gedungen hatte; er war das Verbindungsglied zwischen dem Abbé und der türkischen Gesandtschaft. Atto kannte den Heiligenfledderer seit dreißig Jahren, er wusste, wie nützlich er sein konnte, wenn es um gewisse unfeine Besorgungen ging. Auch wusste er sich seiner aufs beste zu bedienen, ohne von ihm hintergangen zu werden. Hoffte der verknöcherte alte Kastrat denn wirklich, dachte ich lächelnd, dass ich ihm niemals auf die Spur kommen würde?
    «Einverstanden. Treffpunkt morgen früh hier. Sagen wir um neun Uhr, ich habe eine Reinigungsarbeit in der Nähe der Himmelpforte, hernach können wir uns gleich treffen. Zur Sicherheit behalte ich diesen einstweilen bei mir», sagte ich zu Ugonio und nahm den Schlüsselbund aus seinem Überwurf an mich. «Ich gebe sie dir zurück, wenn du wieder hier erscheinst.»
    Verzweifelt streckte Ugonio seine gichtigen Finger nach dem Schlüsselbund aus. Dann senkte er den Kopf: Falls er sich mit dem Gedanken an Flucht getragen hatte, wusste er jetzt, dass dies nur ohne seine kostbaren Schlüssel möglich war.

    «So, Ugonio, jetzt hör gut zu. Wir haben gesehen, wie Ciezeber eigenartige Riten im Wald vollführt hat», hub ich an, während ich Cloridia, die den Kopf unseres sichtlich erschrockenen Söhnchens streichelte, einen bedeutungsvollen Blick zuwarf.
    Meine Frau verstand und ging mit dem Kleinen in den Kreuzgang, damit er der ernsten Unterredung nicht weiter ausgesetzt würde.
    Nun fuhr ich fort, von den geheimnisvollen Ritualen zu erzählen, welche wir den Derwisch hatten ausüben sehen, und gelangte bis zu jenem Moment, da Ciezeber aus dem Haufen seiner Gerätschaften das Messer und den Klumpen schwärzlicher Masse hervorgeholt hatte. Mit einem fragenden Blick durchbohrte ich Ugonios Augen. Er war sehr verärgert und trommelte mit den gelben, krallenartigen Fingernägeln auf den Tisch. Dann sagte er:
    «Ich kann Euer Hochmütigkeit nicht mit mehrigen Nachrichtlichkeiten beliefern. Mit dem Derwischer habe ich nur Geschäftskonjunktionen und gänzlich legitime Verschwindelungen. Aber ich habe das Messerlein und das schwartzlichte Objektat erdeckt, das Ciezeber in der forstlichen Bewaldung blankgezogen hat und das Ihr in Euren Unterlegungen eingefüttert habt.»
    «Dann weißt du also, wovon ich spreche?» Ich fasste wieder Mut.
    «Gewusstlich. Ich hatte die Spektakulösität der Objektate des Derwischers schon vermerkt.»
    «Ja, und? Hast du begriffen, wozu dieses Zeug dient?»
    «Um mehr Vater als Vatermörder zu sein, kann ich Euch informieren, dass es sich, nach aufmerksamer Examhumierung, um Ferrum zu Morbiditätszwecken handelt.»
    «Haben sie etwas mit Krankheiten zu tun?», fragte Simonis.
    «Heast, bist derrisch?», entgegnete Ugonio gereizt, indem er einen glühenden Blick auf den Schlüsselbund warf, den ich noch in den Händen hielt.
    «Aha, es sind medizinische Instrumente», brummte ich enttäuscht.
    «Ich verstätige.»
    Natürlich, warum hatte ich nicht eher daran gedacht? Cloridia hatte mir doch erzählt, dass einige Derwische auch Heiler waren. Und das, was wir im Wald beim Ort Ohne Namen gesehen hatten, musste ein mystisches Ritual sein, um seine Fähigkeiten als Heiler zu steigern. Ich hatte in den Handlungen des Derwischs nach einem Hinweis auf das Gift gesucht, das den Kaiser töten sollte; jetzt aber musste ich entdecken, dass es sich um das genaue Gegenteil handelte: Sie dienten therapeutischen Zwecken.
    Ich tappte im Dunkeln. Bisher hatte ich keinen Beweis für meinen Verdacht gegenüber Atto Melani und der osmanischen Ambassade oder für die heimliche Vergiftung Josephs I. finden können. Aber verflixt, ich musste einen finden, ich musste etwas tun, sagte ich mir, während ich Ugonio beobachtete.

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