Veritas
des Agas ein Komplott geschmiedet, um einem armen Unschuldigen den Kopf abschneiden zu lassen? Wer ist euer Opfer? Jemand Hochstehendes etwa, sehr, allzu hochstehend?»
Die Stille im Raum wurde nun bleiern. Bald würde ich vielleicht erfahren, ob mein Verdacht, was die Reise Abbé Melanis betraf, begründet war. Ugonio erstarrte und schwieg lange. Ich holte zur nächsten Attacke aus:
«Dem Kaiser geht es schlecht. Sehr schlecht. Man sagt, es seien die Blattern. Ich aber vermute, dass etwas anderes dahintersteckt. Nicht zufällig hat sein Übel am Kopf begonnen, am Kopf , hörst du? Weißt du etwas darüber?», fragte ich drohend.
Ugonio erhob sich. Das Blut stieg ihm in sein graues Gesicht, es wirkte fast purpurn (soweit das bei der erdfahlen Hautfarbe möglich war).
«Ich kann vor Euer Emphasis meine zutiefste Verbürgschaftung abstoßen. Ja, um mehr Heiler als Heuchler zu sein, meineidige ich mein gänzlichstes und grünendes gutes Herz. Doch muss ich den Vorsatz wieder ordentlich behämmern: Ich weiß keine Garnichtigkeit über Ihro Käseliche Majestät und dero pathogener Unbequemlichkeit. Andererwärts kann ich über den Derwischer nicht ein einziges Molekel auspfeifen, weil …» Und hier brach er ab.
Simonis und ich wechselten einen Blick. Diesmal hatte mein Gehilfe offenbar alles verstanden. Ugonios Gesicht wurde noch röter. Er schluckte und beendete den Satz auf Deutsch:
«… sunst vawurschtn’s mi!»
«Du glaubst wohl nicht, dass ich mich mit diesem Geflunker zufriedengebe», erwiderte ich in strengem Ton.
Das Gesicht des Heiligenfledderers schien kurz davor zu platzen. Er hatte mich in Rom kennengelernt, als ich der schüchterne Hausbursche einer drittklassigen Herberge war. Jetzt war ich ein reifer Mann, ich kannte das Leben und seine Härten. Der alte Heiligenfledderer, der zwar soeben bei der Verfolgungsjagd bewiesen hatte, dass er noch mehr als genug Kraft besaß, schien dennoch nicht darauf gefasst, ordentlich ausgequetscht zu werden.
«Der Kopf, über den du mit Ciezeber gesprochen hast», skandierte ich drohend und trat sehr nah vor ihn hin, «du wirst mir jetzt sagen, wem der gehört .»
Statt einer Antwort sprang Ugonio mit einem entsetzten Geröchel, welches einem schier das Herz zerriss, auf die Füße und versuchte, auf den Ausgang zuzustürzen und zu fliehen. Natürlich wurde er augenblicklich von Simonis ergriffen. Als dieser ihn an seinem Mantel zog, entlockte er dem Heiligenfledderer ein wunderliches Klingeln. Auf meinen Wink öffnete der Grieche mit angewiderter Grimasse den Umhang, und so erblickten wir, an der Innenseite hängend, etwas mir Wohlbekanntes: einen enormen Eisenring, an welchem Dutzende, nein Hunderte alter Schlüssel jeglicher Form und Größe hingen. Es war dies Ugonios geheimes Arsenal, sein kostbarer Schlüsselbund.
Der Heiligenfledderer, welcher sich nämlich für seine Geschäfte eher unter als über der Erde umtrieb, musste häufig durch Keller, Lagerräume oder mit Schloss und Riegel versperrte Türen in die Unterwelt eindringen. Um dieses Problem zu lösen (und «die Scrupoli vermindernd, um die Skrupel nicht zu mehren», wie Ugonio gerne betonte), hatte er sich seit seiner Jugend der Bestechung unzähliger Diener, Mägde und Knechte befleißigt. Wohl wissend, dass die Besitzer der Villen oder Häuser ihm um keinen Preis eine Kopie ihrer Schlüssel überlassen hätten, pflegte er mit der Dienerschaft Tauschgeschäfte zu betreiben. Als Ersatz für die Duplikate der Schlüssel drehte er ihnen einige seiner kostbaren Reliquien an. Natürlich war Ugonio darauf bedacht, nicht gerade die besten Stücke herzugeben, doch gelegentlich hatte er durchaus schmerzhafte Opfer bringen müssen, wie zum Beispiel ein Bruchstück vom Schlüsselbein des Heiligen Petrus. Schließlich hatte er es so weit gebracht, dass ihm die Schlüssel zu den Kellern und Fundamenten fast sämtlicher römischer Palazzi gehörten. Die wenigen Schlösser, zu denen er keine Schlüssel besaß, ließen sich oft mit anderen aus seiner Sammlung öffnen.
Jetzt aber war der Bund, verglichen mit dem letzten Mal, da ich ihn bei Ugonio gesehen hatte, auf mehr als das Doppelte seiner Größe angeschwollen: Zu den römischen Schlüsseln hatten sich offenbar jene aller Keller Wiens gesellt. Und deren gab es nicht wenige. Wie schon Kardinal Piccolomini vor über dreihundert Jahren feststellte, sind die unterirdischen Gewölbe der Stadt so tief und geräumig, dass es in Wien nicht weniger Gebäude unter
Weitere Kostenlose Bücher