Veritas
gegenüber Atto, der Besuch bei Simonis, die Irrfahrten auf der Suche nach Populescu, die Begegnung mit Ugonio, die frohe Kunde von der Besserung Josephs I. und schließlich, während Cloridia zur Arbeit ging, mein irrwitziger Flug auf dem gefiederten portugiesischen Segelschiff. Jetzt hatte ich wahrhaftig das Recht, ein wenig mit meiner Frau zusammen zu sein und ihr alles zu erzählen! Schon überlegte ich, sie zum Ort Ohne Namen mitzunehmen, um ihr das Fliegende Schiff zu zeigen und sie, die sich angesichts des Übernatürlichen niemals wunderte, um Rat zu fragen. Cloridia hätte mir vielleicht eine Erklärung geben können.
Endlich habe ich mein Weib wieder ganz für mich allein, frohlockte ich. Denn ihr Dienst im Palais des Durchlauchtigsten Prinzen Eugen sollte an diesem Vormittag enden: Nach einer erneuten Audienz bei Eugen würden der Aga und sein Gefolge sich wieder in dem Palast der Witwe Leixenring auf der Leopoldinsel einquartieren. Der Savoyer dagegen würde am nächsten Tag zur Kriegsfront bei Den Haag in den Niederlanden aufbrechen.
«Liebste!», hub ich an, die Haustür öffnend.
Keine Antwort. Ich suchte sie im Schlafzimmer, vergebens. Cloridia war nicht da. Vielleicht war sie im Palais des Prinzen aufgehalten worden, sagte ich mir. Als ich wieder durch den Kreuzgang in Richtung der Pförtnerloge schritt, um die wachhabende Schwester zu fragen, ob sie Cloridia hatte kommen sehen, hörte ich eine Stimme:
«Es ist schon so lange her, dass ich keinerlei Unpässlichkeit mehr verspüre, abgesehen von der Schwäche in den Hüften und Beinen. Daher nahm es mich gestern Nacht wahrhaftig wunder, von einer so heftigen Kolik überrascht zu werden, welche mehrere Stunden andauerte, davon ich mich erst wieder erholte, als ich ein großes Glas frisches Wasser mit Zedernsaft getrunken, mein gewöhnliches Remedium, welches ich seit über dreißig Jahren anzuwenden pflege. Es gibt wohl keine ärgere Qual als das Steinleiden: Harnsteine und Retention des Urins. Es ist ein so überaus schrecklicher Schmerz, dass ich, hätte er mich während der Reise ereilt, gewiss in einer Herberge verstorben wäre. Insonderheit, wenn er begleitet wird von ungemein schmerzhaften Darmentleerungen.»
Es war die Stimme des Abbé Melani. Er erzählte jemandem von seinem Unwohlsein am gestrigen Abend, als ich wutentbrannt in sein Zimmer geplatzt war. Er kam genau auf mich zu, vielleicht wollte er mit dem Neffen ein wenig durch den Säulengang spazieren. Da ich nicht Gefahr laufen wollte, von ihm festgehalten und in seine Machinationen verwickelt zu werden, versteckte ich mich hinter einer Säule.
«… dessenthalben ich vermute», fuhr Atto derweil fort, «dass mir dieses Unglück heuer zugestoßen ist, weil ich vorgestern zwei Tassen von der Schokolade getrunken habe, welche die Madame Konnetabel mir aus Madrid schickte. Die Chormeisterin, der ich sie zeigte, hat mir gesagt, es sei keine Schokolade von guter Qualität. Aber ach, ich bin ja leider blind, und am Geschmack habe ich nichts Besonderes bemerkt. Ich gelobe, nie wieder so unaufmerksam zu sein und, solange ich lebe, keine Schokolade mehr zu trinken!»
Ich erbleichte. Also stand Atto immer noch im Verkehr mit der Madame Konnetabel Colonna! Ihr Name war mir durchaus bekannt: Sie war die Tante Prinz Eugens, die Schwester seiner Mutter Olimpia Mancini. Maria lautete ihr Vorname, und vor elf Jahren war sie Melanis Komplizin bei den Intrigen gewesen, die zum Ausbruch des Spanischen Erbfolgekriegs geführt hatten.
Seltsam, dass Melani im Gespräch mit dem Unbekannten sein Unwohlsein vom Vorabend nicht auf die Nachricht von der Krankheit des Kaisers zurückführte, sondern auf … zwei Tassen verdorbener Schokolade. Das war gewiss keine Ausrede: Niemand musste sich schämen, wenn ihm angesichts dieser traurigen Kunde, die ganz Wien erschüttert hatte, schlecht wurde. Wenn es aber eine schlichte Magenverstimmung gewesen war, wurde Melanis unfreiwilliges Schuldgeständnis null und nichtig.
«Noch immer verspüre ich großen Schmerz im Haupt, darob es mir notwendig erscheint, mich zur Ruhe zu entschließen und mich nicht mehr zu fatigieren, wie ich es bis zum heutigen Tage getan. Der Monat März ist zudem immer verhängnisvoll für mich gewesen, und ich beging die Unvorsichtigkeit, mich ausgerechnet jetzt auf Reisen zu begeben, sintemal an einen Ort, wo Kälte herrscht, während in der übrigen zivilen Welt bereits der Frühling ausgebrochen ist.»
Unter der Last seiner gut
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