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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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fünfundachtzig Lenze verwünschte Atto den langen Wiener Winter.
    «Bon, meine Liebe, ich freue mich wirklich, dass Ihr meinen Vorschlag angenommen habt. Des kostbaren Augenlichts beraubt und mit Domenico, den eine hässliche Verkühlung ans Bett fesselt, seid Ihr meine Rettung.»
    «Es ist mir ein Vergnügen, Herr Abbé, und ich danke Euch noch einmal für die großzügige Entlohnung.»
    Ich erstarrte vor Staunen. Es war die Stimme meiner Frau.

    Ich brauchte nicht lang, um zu verstehen. Attos Neffe war erkrankt, und der alte Kastrat fand sich plötzlich ohne Hilfe wieder. Er hielt sich inkognito in fremden, ja sogar in feindlichen Landen auf – an wen hätte er sich wenden sollen, wenn nicht an meine zuverlässige Gemahlin? Ein glücklicher Zufall wollte es außerdem, dass Cloridia ihren Dienst im Palais des Prinzen Eugen gerade jetzt beendet hatte. Meine Gattin hatte das Angebot des Abbé Melani natürlich nur zu gern angenommen, da er sie, wie ich selbst gehört hatte, fürstlich bezahlen würde.
    Adieu, traute Einsamkeit mit meiner Frau!, brummte ich vor mich hin. Verfluchter Melani! Wir brauchten sein Geld nicht, ich verdiente schon genug, und es blieb sogar etwas übrig, sodass wir den Küken Geld nach Rom schicken konnten. Da wollte ich endlich ein wenig Zeit mit meiner Cloridia zusammen verbringen, und schon wurde sie mir von dem alten Kastraten entzogen! Der Ärger über diese unerfreuliche Überraschung ließ mein Misstrauen gegenüber Abbé Melani in höchstem Grade wachsen.
    Beleidigt ging ich ins Gasthaus, wo ich Simonis und meinen Kleinen antraf. Ich vereinbarte mit dem Griechen, dass ich ihn nach den Proben zum Heiligen Alexius abholen würde, um dann gemeinsam zur nachösterlichen Feier der Studenten zu gehen.

    Auf dem Rückweg zum Konvent bat mich der Knabe dringend, Wasser lassen zu dürfen. Bei Kindern ist es meist klüger, sie nicht warten zu lassen. Ich hielt es also für geraten, schnell in eine kleine, dunkle Querstraße der Himmelpfortgasse einzubiegen. Während der Kleine sich erleichterte, hörte ich etwas.
    «Nun, wie ist es gegangen?», fragte eine Stimme, die ich sofort erkannte, auf Italienisch.
    «Wie Ihr Euch vorstellen könnt, war es nicht leicht, Effendi», antwortete der andere mit ausländischem Akzent. «Doch schließlich ist es uns gelungen. Als sie Euer Geld sahen, haben sie nachgegeben.»
    «Wie viel hat es gekostet?»
    «Alles, was Ihr mir gegeben habt.»
    «Wie bitte?»
    «Sie haben das Herz ihres Herrn verkauft. So etwas hat seinen Preis, Effendi.»
    Wer da gesprochen hatte, war nach armenischer Weise gekleidet, mit dem klassischen Turban und einem Umhang. Sein Gesprächspartner aber war Atto Melani. Cloridia war nicht bei ihm.
    Der Abbé stand, auf seinen Stock gestützt, in der Einbuchtung eines Hauses in der dunklen Straße. Ich sah, wie er aus den Händen des Armeniers einen kleinen Schrein entgegennahm, ihn öffnete und den Inhalt sorgfältig betastete. Dann überreichte Atto ihm ein Säckchen. «Hier, dein Lohn. Adieu», sagte er und zog sich hastig in Richtung des Klosters zurück.
    «Gott segne Euch, Effendi», antwortete der andere, indem er sich unaufhörlich in Richtung des Abbés verbeugte, nicht ohne zuvor den Inhalt des Säckchens kontrolliert zu haben.
    Atto ging langsam auf das Kloster zu, wobei er sich dicht an der Mauer hielt und mit dem Stock den Weg vor sich abklopfte. Kühn, dieser Abbé Melani, dachte ich, sich blind und allein des Abends auf die Straße zu wagen; es musste wohl ein wichtiges Geschäft mit diesem Armenier sein!

    Das Herz ihres Herrn: Man brauchte kein Genie zu sein, um zu begreifen, was der Gegenstand des dunklen Handels war und wem dieses Herz gehörte! Es reichte, zwei und zwei zusammenzuzählen. Nicht nur war Atto Melani gleichzeitig mit der geheimnisvollen türkischen Gesandtschaft in Wien angekommen, genau an dem Tag, als der Kaiser erkrankte. Jetzt überraschte ich ihn sogar beim heimlichen Konventikel mit einem Armenier, also einem Untertan der Hohen Pforte! Nichts lag näher, als dass er zum Gefolge des Agas gehörte, vielleicht ein Scherge dieses Derwischs Ciezeber war, der den Kopf des Kaisers wollte. Feine Metaphern hatten diese Orientalen für ihre Untaten! Dachte man sich die poetischen Arabesken weg, war die Absicht sonnenklar: Ihre Kaiserliche Majestät sollte aus dem Weg geräumt werden.
    Dieser verrückte Kastrat, jammerte ich, würde mich mit sich an den Galgen bringen! Und den schwachsinnigen Ugonio noch dazu.

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