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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Haus der Witwe Leixenring auf der Leopoldinsel zurückgekehrt. Es wäre interessant, einen Blick durch die Fenster zu werfen.»
    «Aber ich bin kein Seemann, ich kann kein Schiff steuern, und erst recht kein Fliegendes Schiff!», protestierte ich, während sich der Gedanke an eine solche Möglichkeit schon einen Weg in meinem Geiste bahnte. «Apropos, heute fand doch die Abschiedsaudienz des Agas statt.»
    «Ja, Prinz Eugen bricht morgen nach Den Haag auf», bestätigte Cloridia.
    «Hat der Aga wieder etwas Seltsames gesagt?»
    «Nein. Ich habe nichts bemerkt, was Verdacht erregen könnte. Der Derwisch hat sich nicht blicken lassen.»

    Ich hatte noch etwas Zeit, bevor Simonis an meine Tür klopfen würde, um mich zur Studentenfeier mitzunehmen. Also schickte ich mich an, meine Papiere zu ordnen, und dabei fielen mir zwei Traktate des Grafen Luigi Ferdinando Marsili in die Hände. Es handelte sich um jenen Italiener, der das Rezept in Europa eingeführt, mit dem man aus der Kaffeepflanze das beliebte würzige Getränk gewann. Doch bedeutender noch war er als der Mann, den Joseph I. bei der ersten Belagerung von Landau dem unfähigen Markgrafen von Baden vorgezogen hatte und dank dessen Hilfe der Kaiser die Festung in nur vier Tagen hatte erstürmen können. Seit ich diese Traktate erworben, hatte ich, ehrlich gesagt, noch kaum einen Blick hineingetan. Jetzt aber, nach der bewegenden Erzählung Melanis über Landau, war ich neugierig geworden und wollte mich einer aufmerksameren Lektüre der Schriften meines tüchtigen Landsmannes widmen, welche – in den Ausgaben, die ich besaß – zusätzlich mit detaillierten Angaben über seine Person versehen waren.
    So entdeckte ich, mit nicht geringem patriotischem Stolz, dass der Graf Marsili ein Mann von ingeniöser Auffassungsgabe und ein überaus scharfer Kopf gewesen war, immer bereit, geistige und körperliche Herausforderungen anzunehmen. In seiner Jugend hatte er begierig Mathematik, Philosophie und Naturwissenschaften studiert und war Schüler einiger berühmter Männer seiner Zeit gewesen, zum Beispiel Marcello Malpighis. Auf Reisen nach Venedig, Padua, Florenz, Rom und Neapel eignete er sich großes Wissen an: eine Grand Tour der Künste, wie sie nur den Sprösslingen der illustren und wohlhabenden Familien möglich ist. Im Gefolge des Botschafters der Republik Venedig besuchte er das ruhmreiche, ferne Konstantinopel und verfasste eine Abhandlung über Eigenart und Organisation des türkischen Heeres, das er genau studiert hatte. Auf seiner Reise in den Orient beobachtete er den Küstenverlauf und die Flora und Fauna aller Länder, durch die er fuhr, und die Frucht dieser Arbeit waren weitere gelehrte Veröffentlichungen. Freilich musste er für seine Unternehmungslust teuer bezahlen: Er infizierte sich mit dem Erreger der Pest und musste nach Venedig zurückkehren, um das Übel auszukurieren, und aufgrund der häufigen Besuche, die sein Vater ihm abstattete, wurde dieser ebenfalls Opfer des Übels, an dem er starb. Im Jahre 1682, vierundzwanzigjährig erst und doch schon ein gemachter Mann, beschloss er, die militärische Laufbahn im Dienste des Reiches einzuschlagen. Bescheiden fing er auf der untersten Stufe an und arbeitete sich dann nach oben: vom einfachen Soldaten, Gefreiten und Sergeanten bis zum Hauptmann.
    Man schreibt das Jahr 1683, und die türkischen Belagerer dräuen vor den Toren Wiens. Marsili gehört zu den Verteidigern der Stadt; verletzt und von den Osmanen gefangen genommen, entgeht er dem sicheren Galgen nur, weil er sich von Uniform und Papieren befreit und als Diener eines venezianischen Kaufmanns ausgibt _ dank seiner früheren Reisen in den Orient kann er ein wenig Türkisch und vermag seine Gefängniswärter zu täuschen. Man verarztet ihn mit Ochsenmist und Salz, er wird Sklave im türkischen Lager vor den Toren Wiens, wo ihm Misshandlungen und Folter nicht erspart bleiben. Man weist ihn einer Kaffeehandlung zu, seine Aufgabe ist es, die Bohnen zu mahlen und den Käufern anzubieten (im osmanischen Lager gibt es Extravaganzen aller Art, sogar künstliche Brunnen). Wie ein beliebiger Sklave wird er an zwei durchreisende Bosnier verkauft, die hoffen, ihn für einen hohen Preis an den Händler zurückverkaufen zu können, als dessen Diener Marsili sich ausgegeben hat. Man nimmt Verhandlungen mit Italien auf; zweihundert Gulden zahlen schließlich Verwandte und Freunde aus Bologna und erwirken so seine Freilassung.
    Zu Fuß kehrt er aus Wien

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