Veritas
gerissen.
Wir waren mitten in Jan Janitzki Opalinskis Eröffnungsansprache hineingeplatzt, der in einem feuchten Kellerloch auf einem alten Tisch stand:
«In der Jugend muss er viel Verdruss und oft harte Schläge vertragen von unverständigen Bakel-Meistern, die bisweilen mehr mit unsinnigen Schlägen als mit Verstand und guten Worten solche zarte Pflänzchen traktieren und zur vollen Blüte untüchtig machen. Dattero Horatius Orbilios plagosos , und noch besser der gelehrte Dornavius Anitympartistas nennet, welche die zarten Kinder henkermäßig traktieren, dass oft die zartesten Ingenia alle Hoffnung sinken lassen, also entweder aus Furcht oder Unbändigkeit denen freyen Künsten gute Nacht geben.»
Applaus brandete auf.
«Man sagt allgemein – und wir haben es heute, bei der Zeremonie, durch die Stimme unseres Rektors höchstselbst erfahren –, dass sich der Toten-Träger für die Studenten sechse finden: Trunkenheit, Zorn, Müßiggang, Geilheit und Hurerei, welche Leib und Seele zugleich begrabe, Verständigkeit und Gedächtnis schwäche, die Sehkraft blende und die Glieder zittern lasse; und schließlich der nachmittägliche Schlaf, welcher der Tod nämlich der Lebenslust sein soll. Falsch, alles falsch! Denn wer so spricht, der liebt uns nicht und ebenso wenig versteht er unsere zarte Natur!»
Wir befanden uns in einem Kellerraum voller Studenten, samt und sonders Bettelstudenten. Manch einer trug auf der Brust noch das begehrte Erkennungszeichen der Universität, das ihm gestattete, zur Finanzierung des Studiums Almosen zu erbetteln. In einer Ecke gaben ein schiefer Tisch mit kümmerlichen Scheiben schwarzen Brotes und einem spärlichen Sammelsurium kleiner Gläser eine Vorstellung von der Geldnot, in welcher die Anwesenden lebten. Das Einzige, was hier im Überfluss vorhanden war, war Ausgelassenheit.
«Opalinski ist da und macht den Redner. Aber wie finden wir die anderen? Es herrscht ein ziemliches Gedränge», fragte ich Simonis ratlos.
«Damit müssen wir wohl leben. Jan Janitzki Opalinski ist übrigens zusammen mit dem armen Hristo, Gott hab ihn selig, der gelehrteste Student, den ich kenne. Nicht umsonst ist er Pole, und seine Heimat ragt als Leuchtturm der christlichen Zivilisation aus Halb-Asien heraus. Jan ist wahrscheinlich der beste Redner der ganzen Alma Mater Rudolphina : Wenn er spricht, sind alle Studenten begeistert», antwortete mein Gehilfe. «Ihr könnt zu ihm gehen, wenn er seine Rede beendet hat. Wir werden ihn auch nach den beiden anderen fragen. Er dürfte zumindest wissen, wo Koloman ist, sie sind eng befreundet.»
Heimtückisch und tödlich für die Gesundheit der Studenten, fuhr der Pole fort, während wir uns mit den Ellenbogen einen Weg durch die Menge bahnten, seien indes ganz andere Dinge, welche zu Unrecht als Tugenden gelten. Zuvörderst das lange Studieren und Grübeln, das sämtliche Körpersäfte verzehrt, Gliedmaßen und Organe austrocknet und, nach Hippokrates, Speisen und Getränke unverdaut im Magen belässt. Dahero erleide der Körper eine Auszehrung, Marasmus genannt, der Atem werde kürzer, und die Schwindsucht drohe. Das Lucubrieren sei der Tyrann der Gesundheit, sonderlich des Nachts, wenn der Qualm der Öllampen die Luft verdichte. Es sei nicht nötig, viel zu lesen, um ein guter Student zu sein, man solle vielmehr nur lesen, was Nutzen bringe, und auch das nicht fortwährend, sondern in Maßen. Andernfalls werde man bleich, Juckreiz trete allerorten am Körper auf, die Augen brennten, und der Blick werde blöde und abwesend.
«Sieh mal, dort hinten ist Populescu!», rief ich, als ich überraschend die mächtige Gestalt des Rumänen gewahrte.
«Wo?», fragte Simonis und stellte sich vor mich.
Als er zur Seite trat, war Populescu verschwunden.
«Verflixt, wir haben ihn wieder verloren», brummte ich.
«Herr Meister, lasst mich nach ihm suchen. Ich drehe eine Runde und komme dann zurück, um Euch Bericht zu erstatten.»
Er hatte recht, denn ich sah fast nichts. Mit seiner hochgewachsenen Figur konnte ich gewiss nicht konkurrieren. Also kauerte ich mich auf ein Treppchen an der Kellerwand und wartete, dass der Grieche zurückkommen würde, nachdem er seine Kameraden gefunden hatte.
«Verderblich für unsere studentische Gesundheit», fuhr der Redner fort, «ist fernerhin das stetige Sitzen, denn dadurch werden die Gekröss-Aederchen verstopfet und die Gedärme zusammengedrücket. Die gepresste Gallenblase aber stößt die Galle zur Unzeit und
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