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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Stunde: Die Beisln und Bierhäusl schließen ihre Pforten.
    Schmetternde Trompeten und donnernde Trommeln erfüllten die Kaiserliche Kapelle, während der Bass in melodischen Versen tönte:

    Sonori concenti
    Quell’aure animate ,
    Spiegate , narrate
    Le gioie del cor 1 *

    Camilla de’ Rossi dirigierte das Orchester mit ernster Miene. Auf meinem gewohnten Platz lauschte ich der Probe zum Heiligen Alexius , und immer noch bewegten mich die Ereignisse der letzten Stunden: die nächtliche Suche nach Populescu, Simonis’ ergreifende Erzählung vom Tod Maximilians, die Reise mit dem Fliegenden Schiffe …
    Aber ich hatte keine Zeit, lange zu grübeln. Der Störenfried dieser kurzen Erholung machte Anstalten, sich an meiner Seite niederzulassen. In Begleitung Cloridias, deren Arm er hielt, hatte sich Abbé Melani genähert.
    Ich warf meiner Frau einen bösen Blick zu, und sie antwortete mir, indem sie die Augen verdrehte, wie um zu sagen: Ich konnte nicht anders.
    Seit Cloridia begonnen hatte, sich um ihn zu kümmern, schien Atto weinerlich und trotzig wie ein kleiner Junge. Statt mit dem kranken Domenico im Himmelpfortkonvent zu bleiben, hatte er verlangt, zu den Proben des Oratoriums mitgenommen zu werden. Den wahren Grund konnte ich mir vorstellen: Nach meinem Zornesausbruch am gestrigen Abend wollte er unbedingt mit mir sprechen. Sicher beabsichtigte der alte Kastrat, mir wie üblich ein Ammenmärchen aufzutischen, um meine Anklagen zu widerlegen. So war es immer schon gewesen: Jedes Mal war es ihm gelungen, mein berechtigtes Misstrauen ihm gegenüber zu zerstreuen, sodass er mich wie eine Marionette handhaben konnte und ich am Ende das Nachsehen hatte. Wer weiß, was er für ein Gesicht machen würde, wenn er erfuhr, dass ich sein geheimes Stelldichein mit dem Armenier belauscht hatte! Und dass ich Ugonio begegnet war! Welche Ausflüchte würde er zu seiner Entlastung ersinnen?
    Eine Sirene war der verschlagene Abbé Melani, und ich war Odysseus. Dieses Mal wollte ich kein einziges seiner betörenden Worte hören. Nur so konnte ich sicher sein, nicht wie ein Tölpel am Haken seiner Lügen hängenzubleiben.
    «Eigentlich ist ja auch der Herr Abbé ein Musiker», sagte Cloridia, um seine Anwesenheit zu rechtfertigen. Sie spielte auf Atto Melanis einstige Sangeskarriere an.
    Kaum zu glauben, wie gut er sich orientierte, mit einer geschickten Bewegung gelang es Melani, sich an Cloridia vorbeizuschlängeln und neben mich zu setzen.
    «In den letzten Tagen habe ich viel Blut aus den güldenen Adern verloren», flüsterte Atto mir mit leidender Stimme zu.
    Ich wandte mich nicht um.
    «Auch vor einigen Jahren», fügte er hinzu, «lösten der Wetterumschwung und die Schneeschmelze ein gewaltiges Revoltieren meiner Körpersäfte aus. Ich war des Morgens aufgebrochen, dem Marquis de Torcy meine Aufwartung zu machen, musste aber alsbald zurückkehren, ohne ihn zu sehen.»
    Ich rührte mich nicht.
    «Weißt du, mittlerweile bin ich es gewohnt, und es inkonveniert mich nicht mehr übermäßig. Außerdem trage ich immer dieses Ringlein hier am Finger, von dem es heißt, es sei gut gegen die güldenen Adern. Der Großherzog der Toskana hat es mir geschickt.»
    Atto wedelte mir mit dem Ring, den er am kleinen Finger trug, vor der Nase herum.
    «Doch wenn ich nach der Blutung Stuhlgang habe, schmerzt es mich, und dies sind die ärgsten Qualen überhaupt. Sie martern und schwächen einen außerordentlich.»
    Er wollte mein Mitleid erregen. Ich tat weiterhin, als hörte ich ihn nicht.
    «Ich habe unsäglich gelitten», insistierte er. «Seit fünf Monaten schon bluteten meine Hämorrhoiden nicht mehr. Also habe ich einen warmen Umschlag mit Juno-Blättern appliziert, welche die Krampfadern aufgeweicht haben und sie, dem Himmel sei Dank, schließlich aufbrechen ließen. Zur Stillung des Blutstroms habe ich Thalietrum-Pulver verwendet.»
    Vor dem Hintergrund der Bläser und Pauken fuhr der Bass trällernd fort:

    Con gare innocenti
    Di voci erudite … 2 *

    «Signor Atto, Ihr stört die Probe!», zischte ich ihm grimmig ins Ohr, denn ich fürchtete, jemand von den Musikern könne auf uns aufmerksam werden.
    «Leider ist es mir jetzt ausgegangen», schwatzte Melani ungerührt weiter. «Die Franzosen nennen es Argentine . Glaubst du, du könntest mir etwas davon besorgen? Ich brauche es dringend: Sobald ich auf den Toilettenstuhl steige, um mich zu entleeren, quellen mir die güldenen Adern wie Trauben hervor, zwei oder drei auf

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