Veritas
London betätigte? Damals waren wir auch auf die Geheimnisse der musikalischen Kryptographie gestoßen, ein Mittel, dessen sich der berühmte Wissenschaftler und Jesuit Athanasius Kircher bedient hatte, indem er Staatsgeheimnisse von gravierender Bedeutung in Partituren und Tabulaturen versteckte. Ich müsse außerdem wissen, dass der bekannte Giovan Battista Della Porta in seinem De furtivis litterarum notis zahlreiche Methoden geschildert habe, mit denen man Botschaften jeder Art und Länge in der musikalischen Notation verbergen könne.
Er hatte recht. Der Abbé hatte mir genau beschrieben, wie geschickt die Musizi in der Spionage sind, zum Beispiel der berühmte John Dowland, Lautenspieler der Königin Elisabeth von England, der chiffrierte Botschaften in den Handschriften seiner Kompositionen zu verstecken pflegte. Hatte nicht auch der junge Kastrat Atto Melani dieses Gewerbe ausgeübt, und zwar in ganz Europa?
Ich hatte das Orchester Camilla de’ Rossis immer mit arglosen Augen gesehen. Recht bedacht, konnte sich hinter jeder Violine, jeder Flöte, jeder Trommel ein Spion verbergen.
«Was zum Teufel habt Ihr dann hier auf der Probe zum Oratorium zu suchen?», entgegnete ich mit gedämpfter Stimme, während ich mich umblickte. Plötzlich packte mich die Furcht, belauscht zu werden.
«Ich muss mit dir sprechen. Nachdem du mich letzte Nacht mit all diesen entsetzlichen Anklagen überschüttet hast, müssen wir Klarheit zwischen uns schaffen. Wenn du mir endlich einmal Gelegenheit dazu gibst.»
«Jetzt habe ich keine Zeit», antwortete ich barsch.
Ich sah zu Cloridia. Auf ihrem Gesicht erkannte ich weder Zustimmung noch Tadel, sondern nur ein ironisches Lächeln.
Nachdem ich mich erneut vor Abbé Melani und meiner Frau auf dem Absatz umgedreht hatte, ging ich zu Camilla. Die Züge der Chormeisterin waren müde und angespannt.
«Guten Abend, mein Guter», grüßte sie.
Nachdem wir ein paar belanglose Sätze ausgetauscht hatten, beschloss ich, sie zu fragen:
«Man hat mir von einem gewissen Anton de’ Rossi gesprochen, Kammerherr des Kardinal Collonitz. Ist er zufällig ein Verwandter Eures verstorbenen Gemahls?»
«Nicht doch! Mein Name ist der häufigste in Italien. Die Welt ist voller Rossis», sagte sie in freundlichem Ton, bevor sie den Musikern mit dreimaligem Händeklatschen ankündigte, dass die Pause beendet war.
Sie hat recht, dachte ich, als ich an meinen Platz zurückkehrte, die Welt ist voller Rossis.
Doch welch seltsame Übereinstimmung.
Nach dem Ende der Probe zum Oratorium verabschiedete ich mich von Cloridia. Ich hatte ein Billett von Simonis erhalten, worin er als Treffpunkt das Kaffeehaus Zur Blauen Flasche nannte. Ich erklärte ihr, dass ich zum Kalvarienberg fahren müsse, um Populescu zu suchen.
«Diesen Rumänen, der sich brüstet, die türkischen Harems zu kennen?», fragte meine Frau. Sie erinnerte sich, wie sie Dragomir den Wind aus den Segeln genommen hatte, als sie ihn einen Eunuchen nannte.
«Genau. Ich wollte dir sagen, dass …»
«Du gehst in die Blaue Flasche, Junge? Gut. Das ist nur zwei Schritt entfernt. Monna Cloridia, Ihr werdet mich doch dorthin begleiten? Ein heißer Kaffee wird mir wieder zu Kräften verhelfen.»
Abbé Melani hatte seinen Platz verlassen, um sich wieder an meine Fersen zu heften. Ich versagte mir eine Entgegnung, bemerkte jedoch, dass er sich von seiner Blindheit nicht im Geringsten hindern ließ, wenn ihm an einer Sache gelegen war.
Cloridia bat die Chormeisterin, sich unseres Söhnchens anzunehmen und ihn ins Bett zu bringen. Wir brachen auf.
Auf dem kurzen Weg erklärte ich meiner Gattin, warum ich Populescu suchte: Ich fürchtete um das Leben von Simonis’ Kameraden und wollte sie bewegen, ihre Nachforschungen über den Goldenen Apfel einzustellen.
«Du glaubst also wirklich», mischte sich Atto kichernd ein, als wir gerade das Lokal betraten, «dass diese slawischen Draufgänger wegen irgendwelcher türkischer Legenden in Gefahr sind?»
Simonis saß schon an einem Tisch des Kaffeehauses und wartete auf Penicek. Er wunderte sich ein wenig, als er sah, dass ich in Begleitung war. Ich erklärte ihm, der Abbé sei nur gekommen, um einen Kaffee zu trinken, und würde dann mit Cloridia ins Kloster zurückkehren. Atto protestierte nicht.
«Auf dem Kalvarienberg werden wir auch Koloman Szupán finden», teilte mir der Grieche mit. «Ich habe ihn getroffen, als er von der Arbeit kam, und ihm gesagt, dass Ihr ihn sprechen und auszahlen
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