Veritas
einmal, wie Kirschen. Kannst du dir das vorstellen?»
… Cantate , ridete
Le glorie d’Amor 3 *
Der Gegensatz zwischen den anatomischen Schilderungen Atto Melanis und Camilla de’ Rossis süßer Musik war unerträglich. Zum Glück kam bald die Pause. Ich nutzte die Gelegenheit, mich zu erheben und die Gesellschaft des Abbés zu fliehen. Als er versuchte aufzustehen, warf ich Cloridia einen unmissverständlichen Blick zu und befahl ihm barsch, sich nicht von seinem Platz zu rühren. Dann entfernte ich mich schnurstracks.
Fast sofort stieß ich auf Gaetano Orsini, der mit gewohnter Jovialität grüßte:
«Na, wie geht’s, mein lieber Freund? Die Familie ist wohlauf? Das freut mich.»
«Meine Verehrung», versetzte ich respektvoll.
«Ein Freund von mir hat Probleme mit seinem Rauchabzug. Darf ich ihm versprechen, dass Ihr in den nächsten Tagen bei ihm vorbeischauen werdet, um die Sache in Augenschein zu nehmen?»
«Aber gewiss doch, ich bin Euer und sein Diener. Hat womöglich einer meiner Zunftbrüder seine Arbeit nicht anständig gemacht?»
«Tja, wer weiß? Wie ich hörte, ist er jedes Mal betrunken wie eine Haubitze bei ihm angekommen, aber leider erinnert er sich an nichts!», lachte Orsini.
Dann gab er mir die Adresse eines kleinen Palais in der Nähe des Hafnersteigs. Ich versprach, die Angelegenheit so bald wie möglich zu erledigen.
«Tut Euer Bestes», bat er mich, «mein Freund ist Kammerherr des seligen Kardinal Collonitz gewesen, des Helden der Belagerung von Wien.»
«Des Helden?»
«Ja, 1683, während der entscheidenden letzten Schlacht gegen die Türken, gelang es Collonitz immer, Geld für die Bevölkerung und Soldaten aufzutreiben. Wie er das fertigbrachte, weiß keiner. Außerdem war er immer in vorderster Linie, als Seelsorger und um die Waisen in Sicherheit zu bringen. Er wurde 1686 wegen seines Heldentums zum Kardinal ernannt. Vor vier Jahren ist er gestorben.»
1686: Also hatte Papst Innozenz XI. Collonitz zum Kardinal ernannt, jener Benedetto Odescalchi, dessen dunkle Machenschaften ich gut kannte. Mein verstorbener Schwiegervater hatte für die Odescalchi gearbeitet. Jetzt erinnerte ich mich: Eben aus dem Munde meines Schwiegervaters hatte ich den Namen Collonitz gehört. Er war einer der Vertrauensmänner der Odescalchi am Hof des Kaisers Leopold gewesen.
«Ich bitte Euch, übermittelt meinem Freunde beste Grüße von meiner Seite. Er heißt Anton de’ Rossi.»
Ich bemerkte den Zufall, aber ich schwieg.
Als Orsini sich verabschiedet hatte, sah ich prompt Melani an Cloridias Arm auftauchen.
«Nichts zu machen, er will nicht sitzen bleiben», flüsterte meine Frau und verdrehte erneut die Augen.
Heimlich verfluchte ich den Abbé und sogar mein Weib.
«Signor Atto, Ihr kommt gerade recht. Ich wollte Euch justament Gaetano Orsini vorstellen, den Sopran, der die Rolle des Alexius singt. Kommt mit mir», sagte ich.
Wenn ich ihn dem schwatzhaften Orsini aufhalste, konnte ich ihn vielleicht loswerden, denn Orsini war wie der Abbé ein Kastrat.
«Um Himmels willen, nein!», schrak der Abbé auf.
«Ich werde Euch natürlich als Milani vorstellen, den Beamten der Reichspost», beruhigte ich ihn flüsternd. «Unsere liebe Chormeisterin wird Euch doch gewiss nicht Lügen strafen, oder? Außerdem ist Orsini nicht gerade der hellste …»
«Ich sehe, dass es mir in dreißig Jahren nicht gelungen ist, dir irgendetwas beizubringen! Wie ist es nur möglich, dass du dich immer noch vom Schein täuschen lässt?», fauchte Atto ungeduldig. «Statt dir den Kopf mit infamen Verdächtigungen gegen meine Wenigkeit zu zerbrechen», fügte er säuerlich hinzu, «tätest du klüger daran, genauer auf deine Umgebung zu achten.»
Selbstverständlich würde Camilla das Geheimnis bewahren, erklärte Atto, doch hatte er mich nicht schon vor vielen Jahren gelehrt, dass sich unter den Musizi immer die schlimmsten Spione verbergen? War das Hantieren mit Noten und Pentagrammen nicht geradezu ein Synonym für Spionage und geheime Botschaften? Melanis Name war wohlbekannt unter Musikern: Zu seiner Zeit war er einer der berühmtesten Kastraten Europas gewesen. Ihn als Milani vorzustellen, davon sei er überzeugt, würde ihn nicht vor dem Argwohn derer schützen, für die Lügen das tägliche Brot sind.
Habe er mir nicht schon ehedem, als wir uns kennenlernten, von dem Gitarristen Francesco Corbetta gesprochen, der sich unter dem Vorwand seiner Konzerte sogar als Geheimkurier zwischen Paris und
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