Veritas
Tekuphah als das Blut Unseres Herren, das aus seinen allerheiligsten Wunden strömte: Es wird nämlich viermal im Jahr fließen.»
«Um Himmels willen, dieser Mensch lästert Gott», rief Abbé Melani mit erstickter Stimme und bekreuzigte sich.
Während Cloridia Atto ein Glas Wasser zu trinken gab, damit er sich beruhigte, drehten wir dem verwirrten Redner den Rücken zu und versuchten, unsere Unterhaltung wieder aufzunehmen. Allein, niemandem fiel etwas ein. Ich suchte nach einem anderen freien Tisch, doch das Kaffeehaus war bis auf den letzten Platz gefüllt.
Vier Tekuphot im Jahr gebe es, fuhr der Alte unbeirrt fort, eines alle vier Monate. Das erste im Monat Tischri, als Abraham nach dem Willen Gottes auf dem Berg Morija seinen Sohn Isaak opfern sollte. Er hatte schon das Messer in der Hand und wollte Isaak eben die Kehle durchschneiden. Da sah Gott, dass Abraham zu allem bereit war, um ihm zu gehorchen, und rasch stieg der Engel des Herrn vom Himmel und sagte: «Rühre das Kind nicht an, tu ihm nichts zuleide.» Abraham tötete seinen Sohn nicht, doch er hatte ihm schon einen Schnitt am Hals zugefügt, aus dem einige Tropfen Blut liefen.
«Darum verbreiten sich alljährlich in diesem Monat auf der ganzen Welt die Tropfen des Blutes, das aus dem Hals des Isaak quoll und jeder muss achtgeben, dass er kein Wasser trinkt, ohne zuvor einen eisernen Nagel hineingetaucht zu haben.»
Die nächste Tekuphah fällt in den Monat, in dem Jephtha ihre einzige Tochter hätte opfern sollen, und darum werden jedes Jahr um diese Zeit alle Gewässer zu Blut. Doch wenn man zuvor einen eisernen Nagel hineinwirft, wird die Tekuphah kein Übel bringen. Die dritte Tekuphah aber ist im Monat Nissan, als die Wasser Ägyptens sich in Blut verwandelten, wie in der Heiligen Schrift erzählt wird. Darum glaubt man, dass alljährlich in diesem Monat alles Wasser auf Erden zu Blut wird, doch wenn man abermals einen Eisennagel hineinwirft, kann nichts Böses geschehen. Die vierte Tekuphah ereignet sich im Monat Tammus. In jener Zeit befahl Gott dem Moses, mit einem Fels zu sprechen, auf dass diesem Wasser entströme. Der Fels gehorchte nicht, und Moses schlug ihn mit seinem Stab. Als der Fels darauf nur einige Blutstropfen von sich gab, schlug Moses ihn ein zweites Mal, und endlich trat Wasser aus.
«Darum verwandeln sich jedes Jahr zu dieser Zeit alle Wasser in Blut», schloss der Alte. «Es ist dieses aber die gefährlichste Tekuphah, sodass einige meinen, gegen sie könne nicht einmal der eiserne Nagel helfen.»
«Jetzt reicht es!», drohte ich dem Alten, als ich das erstarrte Gesicht Melanis und die besorgte Miene meiner Frau sah.
Wieder suchte ich mit Blicken nach dem Serviermädchen, das uns vor ein paar Tagen bedient hatte, doch vergebens. Ich erspähte aber den Kaffeehausbesitzer und bedeutete ihm mit einem Handzeichen, dass der Alte uns belästigte. Doch er tat, als sähe er mich nicht, und bediente weiter.
«Vergesst niemals, einen eisernen Nagel zwischen die Vorräte und auf die Teller zu legen, die Ihr zum Essen benutzt!», ermahnte uns derweil der Verrückte, «sonst wird das Blut der Tekuphah plötzlich auf die unterschiedlichste Weise erscheinen: in Schmalztöpfen, wie es meinen Eltern in Prag widerfuhr, worauf sie den ganzen Topf zu Tode erschrocken ins Wasser warfen; in Wasserkesseln oder auch in Butterreindln. Und von dort wird es über Euch fließen und über Eure Hinterteile zu Boden rinnen!»
«Alles Unsinn, von wegen Fluch. Hämorrhoiden sind eine natürliche Krankheit», keuchte Atto und brachte ein gequältes Lächeln hervor, während seine Hände von einem heftigen Tremor erfasst wurden. «Ihre Ursache ist, ich gestehe es, das zu reichhaltige Essen, das ich in meiner Jugend genoss.»
«Du wandelst in der Finsternis des Irrtums!», donnerte der andere. «Die Juden essen keine ungesunden Speisen, ihnen sind Gerichte verboten, aus welchen die Blutung hervorkommt. Darum ächten sie durch Göttliches Gesetz das Schwein und den Hasen, deren Fleisch die Gesundheit angreift, das Herz verstopft und den Geist vernebelt. Doch gerade die Juden sind am meisten von der Tekuphah betroffen, denn sie kreuzigten Gottes Sohn, und sein Blut ist über sie gekommen. Mein Vater blutete alle vier Wochen. Ich nicht, doch nur, weil ich mich zum Wahren Glauben bekannt habe und immer einen eisernen Nagel bei mir trage.»
Nach diesen Worten zog er mit einem breiten Grinsen einen Nagel aus seiner Tasse Kaffee und zeigte ihn der
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