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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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er mit erstickter Stimme.
    «Was ist los, Koloman?», fragte ich.
    «Dragomir war nicht … Wir dachten, er sei … da war niemand bei ihm, niemand, niemand …», sagte er, während die ersten Tränen ihm über das Gesicht rannen.

    Die Aufklärung währte wenige Augenblicke.
    Cloridia hatte Abbé Melanis Kopf so gut es ging gesäubert, nun stand er, auf seinen Stock gestützt und an ihrem Arm, schweigend vor der Leiche. Finster musterte ich den alten Kastraten. Nichts konnte mich von dem Gefühl abbringen, dass er mehr wusste, als er zu erkennen gab.
    «Weg, weg von hier», sagte ich dann, indem ich um mich blickend Cloridias Hand nahm und Melani unter die Achsel griff, während Simonis Koloman am Arm packte und ihm befahl, nicht mehr zu weinen, weil man uns sonst bemerkt hätte.
    Wir gingen die Kalvarienbergstraße hinunter und hatten Mühe, unsere Schritte zu hemmen, um nicht loszulaufen. Auch versuchten wir, unsere Gesichter nicht zu zeigen, wenn wir an den wenigen Passanten vorübergingen.
    Bis eines der liebestollen Pärchen sie entdeckte, würde Dragomir Populescus Leiche so dort bleiben, wie wir sie gesehen hatten: die Hosen heruntergelassen, der Oberkörper vorgebeugt. Doch keine Konkubine, sondern drei spitze Kandelaber, wie jene, auf welche man die Osterkerzen spießt, fanden sich unter seinem lüsternen Körper. Eine kräftige Hand hatte sie kunstgerecht in Brust und Herz des armen Studenten vom Schwarzen Meer gebohrt.
    Noch mehr schwarzes Blut nässte ihm langsam Oberschenkel und Hosen. Es quoll aus dem Stumpf zerfetzten Fleisches, wo einst sein Geschlecht gewesen war.

    Wir gelangten zu Penicek, der uns am Ende der Straße erwartete. Während die Kalesche sich in Fahrt setzte, berichtete Simonis ihm kurz, was geschehen war.
    «Halb-Asien!», brummte der Grieche zum Abschluss.
    «Und wenn es die Türken waren?», fragte ich.
    «Asien oder Halb-Asien, das ist doch das Gleiche.»
    «Herr Schorist, wenn ich mir erlauben darf: Wir müssen Populescus Körper verschwinden lassen. Der Stadtguardia könnte diese ganze Geschichte ein wenig zu grausam vorkommen. So stirbt kein Bettelstudent. Sie könnten ernsthafte Nachforschungen anstellen.»
    «Du hast recht, Pennal», pflichtete Simonis ihm bei, «das Risiko, hineingezogen zu werden, können wir nicht eingehen. Wir kannten auch Danilo und haben ihn sterben sehen.»
    «Ihr sprecht, als wäret ihr die Mörder», wandte Cloridia ein.
    Simonis antwortete mit Schweigen und starrte uns aus seinen dümmlichen Augen an. War er es nicht gewesen, der seine Freunde auf die Fährte des Goldenen Apfels gesetzt hatte? Und, überlegte ich, hatten Cloridia und ich nicht mit der ganzen Geschichte angefangen, weil die merkwürdige Gesandtschaft des Agas uns beunruhigte? Zudem hatten wir Simonis’ Freunden nichts von dem Komplott Ciezebers erzählt. Wenn sie rechtzeitig erfahren hätten, dass die Türken jemandes Kopf wollten und vor allem, dass dieser Jemand aller Wahrscheinlichkeit nach der Kaiser persönlich war, wären sie jetzt vielleicht noch am Leben.
    Ich beschloss, dass der Moment gekommen war, Koloman Szupán von dem Derwisch zu berichten. Natürlich unterschlug ich, dass ich es seit Tagen wusste und ihm verschwiegen hatte. Der Ungar erschrak fürchterlich. Aus seiner Heimatgegend wusste er nur zu gut, wozu die Ungläubigen fähig waren.
    Wir wurden von Penicek unterbrochen, der sich erbot, Populescus sterbliche Reste mit Hilfe zweier Kollegen beiseitezuschaffen, illegale Kutscher wie er und vertrauenswürdig.
    «Ihr werdet nicht mehr rechtzeitig kommen. Sicher bemerkt irgendein Pärchen ihn schon früher und ruft nach den Wachen», entgegnete ich kopfschüttelnd.
    «Aber sie wohnen keine zwei Schritt von hier», beharrte Penicek. «Vertraut mir.»
    Kaum hatte er das gesagt, hielt er die Kutsche an, ohne einen zustimmenden Wink von mir oder seinem Schoristen abzuwarten, stieg ab und schlüpfte, so schnell wie sein lahmes Bein es ihm gestattete, durch eine Haustür. Als er zurückkehrte, traten mit ihm zwei Schatten aus der Tür und machten sich eilig auf den Weg zum Kalvarienberg.
    «Reg dich nicht auf, Dragomir, bleib ganz ruhig! Ruhig und … kaltblütig!», lachte Penicek in einem gänzlich deplacierten Anfall von Humor, während seine Kollegen sich anschickten, das traurige Geschäft zu besorgen.
    «Schweig, Pennal, du Tier!», empörte sich Simonis und versetzte ihm einen Schlag in den Nacken.
    Vom verstummten Penicek auf dem Bock gelenkt, fuhr die Kutsche

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