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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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verblüfften Zuhörerschaft.
    Endlich sahen wir, wie einen Retter vom Himmel, Penicek ankommen.

    «Die entsetzliche Tekuphah wird bald auf Euch herabfließen, und Eure Augen werden sich mit Blut verkleben», zischte der Alte uns zu, während wir zahlten und uns erhoben.

    Das Bild des auf einem Thron sitzenden Schutzpatrons stand in einem Winkel des Haushofs. Es wurde durch unzählige Kerzen erleuchtet und war mit grünen Baumzweigen geschmückt. Der Hof war voll von Gläubigen: Angestellte, Mütter und viele alte Menschen; Einwohner aus der Nachbarschaft, welche teils laut Kirchenlieder sangen, teils dumpf den Rosenkranz murmelten. Wir blickten uns um. Von Dragomir und Koloman keine Spur.
    Wir fanden Sitzplätze für Cloridia und Abbé Melani, der sich noch nicht ganz von der fürchterlichen Rede des närrischen Alten erholt hatte und unter keinen Umständen ins Kloster hatte zurückkehren wollen. Dann traten Simonis und ich ein wenig von der Statue des Heiligen zurück. Überall auf dem großen Hof, auch dort, wo der Kerzenschein fast nicht mehr hinreichte, standen Gläubige, hier waren es zumeist jüngere Menschen, die das Fest des Heiligen auf ganz andere Weise feierten. Nicht liturgische Gesänge, sondern Seufzer erfüllten den Äther, und statt gemurmelter Litaneien hörte man leises Keuchen.
    «Hier müssten wir die beiden eigentlich finden», grinste Simonis.
    In allen Ecken des Hofes geschahen unsägliche Dinge, die – obgleich inbrünstig verrichtet – wenig mit dem Glauben, geschweige denn mit dem Gottesdienst zu tun hatten.
    Ich hatte davon schon gehört. Die Gegend um den Kalvarienberg in der Vorstadt Hernais war als ein Ort, wo Männer und Frauen unter dem Deckmantel abendlicher Andachten einander eroberten, sehr beliebt. Die Kirche wurde sogar die «kleine Redoute» genannt, wie Theaterfoyers, wo junge Paare sich heimlich vergnügen. Es hieß, dass sich auf dem Kalvarienberg während der Fastenzeit das Gleiche abspielte wie im Sommer im Augarten, dem bekannten Ort enthemmter Lüsternheit am Donauufer.
    «O Pardon», entschuldigte sich der Grieche, der, als er seine Kameraden in einem Eckchen suchte, ein halbnacktes Pärchen aus der Nähe hatte erspähen können.
    «Populescu sagte, er werde mit seiner Brünetten hierherkommen», überlegte ich, «aber Koloman Szupán nicht. Sollten wir ihn nicht lieber unten auf der Straße suchen?»
    «Einer wie Koloman lässt sich keine Andacht entgehen», entgegnete mein Geselle mit einem komplizenhaften Lächeln.
    Er hatte recht. Kurze Zeit später fanden wir den ungarischen Studenten in einem Winkel zwischen zwei Büschen beschäftigt:
    «Aaaaahhh! Jo, guat, hör net auf! Du bist a Viech, a Stier … noamoi, heast, i bitt di!»
    «Das ist er», entschied Simonis überzeugt. «Ich weiß nicht, wie er es anstellt, aber Koloman macht sie alle auf die gleiche Weise brünstig. Hast du eine gehört, weißt du immer, wann Koloman am Werk ist.»
    «Wahre Freunde erkennen sich immer wieder», bemerkte ich ironisch und ein wenig verlegen.

    «Nein, Dragomir werdet ihr hier nicht finden», sagte Koloman, während er sich das Hemd in die Hose stopfte. «Er ist bestimmt in einer der Kapellen auf der Via Crucis. Nur da ist es dunkel genug, dass keiner sein viel zu kleines Schwänzchen sieht, haha!»
    Wir traten also mit Cloridia und Abbé Melani wieder auf die Kalvarienbergstraße hinaus. Zu beiden Seiten standen kleine Kapellen, welche die Mysterien der Passionsgeschichte darstellten. Auch diese Örtlichkeiten boten den Geschlechtern Gelegenheit, ihre Begierden auszuleben. Besonderen Nutzen aus der populären Entweihungspraxis zogen unzählige Boutiken mit dampfenden Würsten, Zuckerwerk und Hernalserkipfeln mit heißer Creme, die sich zu Füßen des Kalvarienberges häuften. Nach den Andachten schwärmten die Pärchen in die Gasthäuser des Ortes oder weiter nach Süden, in die Vorstadt Neulerchenfeld.
    Die ersten Kapellen, in deren pechschwarzes Dunkel wir hineinspähten, waren natürlich alle besetzt.
    «Das muss eine recht fromme Seele sein, dieser Freund, den ihr sucht», bemerkte Atto ahnungslos, als er hörte, dass wir Kapelle für Kapelle durchforsteten.
    Cloridia führte ihn ein wenig weiter die abschüssige Straße hinab, damit er das Stöhnen der Pärchen nicht hörte. Ich sah, wie die beiden eine der unbesetzten Kapellen betraten, um sich dort hinzusetzen.
    «Da ist er ja endlich!», rief Koloman, das Dunkel einer weiteren Ädikula mit scharfem Blick

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