Veritas
grausamem Wesen waren, ruinierten sie sich manchmal gegenseitig, indem sie beim Kaiser Freunde und Verwandte anzeigten.
Ich lauschte, von grenzenlosem Staunen ergriffen. Jene schönen Ausschänke, ihr erhabener Friede, das Aroma des Kaffees – hinter alldem verbargen sich, nach Kolomans Worten, Betrügereien und Schandtaten, welche das liebliche Wien mich niemals hätte argwöhnen lassen.
«Wenn es ums Intrigieren geht», fuhr Koloman fort, «kann nichts die Armenier aufhalten.»
Nicht genug, dass die aalglatten Armenier schier nicht zu fassen waren, es war auch schwierig, sie zu identifizieren: Auch bei diesem Schahin, dem Verräter der Belagerten von 1683, musste man plötzlich entdecken, dass er in Wirklichkeit Kalust Nerveli oder Calixtus oder Bonaventura hieß; und sein Freund Diodato auch noch auf den Namen Owanes Astouatzatur hörte. Andere hatten nicht mal einen Nachnamen, wie jener mysteriöse Gabriel aus Anatolien, der im Jahr 1686 mit einem ungeheuren Donnerschlag die Pulverkammer in einem Kastell in Ofen oder Buda in die Luft jagte, sodass die Kaiserlichen es den Türken nach über einem Jahrhundert wieder abnehmen konnten.
«Und Schwachköpfe sind auch wir gewesen», schloss Koloman Szupán. «Dragomir hatte uns gesagt, dass sein Mädchen in einem Kaffeehaus arbeitete. Aber diese Lokale sind sämtlich in der Hand der Armenier. Natürlich war auch sie Armenierin. Wir hätten daran denken und ihn warnen sollen.»
«Tatsächlich hat Populescu sie uns als eine dunkelhäutige Frau beschrieben», bekräftigte Simonis.
«Und er hat uns berichtet, dass die Brünette Auskünfte über den Goldenen Apfel von ihrem Arbeitgeber bekommen hatte», fügte ich hinzu, «welcher demnach ein armenischer Kaffeehausbesitzer sein muss …»
Ich verstummte. Mechanisch wiederholte mein Geist die beiden Worte «Brünette» und «Kaffee», wie auf der Suche nach einem verborgenen Sinn.
Endlich hatte ich es. Offenen Mundes starrte ich Cloridia an.
«Woran denkst du?», fragte sie.
«An die Blaue Flasche, an das vorletzte Mal, als wir dort waren. Erinnert Ihr Euch, Herr Atto? Wir wurden von einer Brünetten bedient, jener, die Euch dann die Schokoladenkugel anbot.»
«Wenn die Wiener Kaffeehäuser alle in armenischer Hand sind, wie du mir gesagt hast», wandte der Abbé mit unwirscher Skepsis ein, «werden sie voller brünetter Serviermädchen sein.»
«Wenn es aber so wäre, wie ich sage, wenn diese Frau, die uns bediente, dieselbe ist, mit der Populescu eine Verabredung auf dem Kalvarienberg hatte, dann könnte auch die Rede über die Tekuphot, die wir in der Blauen Flasche gehört haben, eine auf uns gemünzte Drohung gewesen sein.»
«Stimmt», pflichtete Simonis mir bei, «vielleicht war er ein Verwandter des Mädchens und wusste schon, wer wir waren.»
«Auch diese fette Frau, die uns den Kaffee servierte, hat uns böse angeschaut», setzte ich hinzu.
«Was, die irren Reden dieses alten Narren eine Warnung? Nicht im Traum!», wehrte Melani scharf ab.
Atto spielte den Gleichgültigen, doch hatte ich genau gesehen, wie er vor Angst fast gestorben wäre, als der Fluch der Tekuphah alias das Blut des armen Populescu sich über seinem Kopf erfüllte. Jetzt wollte er nur meinen Verdacht von seinen unaussprechlichen Geschäften mit den Armeniern ablenken.
In der Himmelpforte half ich Cloridia, den alten Kastraten ins Bett zu legen; Domenico schnarchte im Nebenzimmer laut, er war immer noch erkältet.
Kurz bevor ich Atto gute Nacht wünschte, konnte ich mich nicht zurückhalten:
«Seid Ihr immer noch überzeugt, dass Danilo, Hristo und Dragomir nur zufállig einer nach dem anderen innerhalb kurzer Zeit gestorben sind?»
«Ich habe meine Meinung nicht geändert. Ich glaube immer noch nicht, dass sie wegen ihrer Nachforschungen über den Goldenen Apfel umgebracht wurden. Aber dass ihr Tod nichts miteinander zu tun hat, habe ich nie behauptet.»
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1 * Harmonische Klänge, / Beseelt diese Luft, / Erkläret, erzählet / Die Freuden des Herzens
2 * In unschuldigem Wettstreit / Gelehrter Stimmen …
3 * … Besingt, bejubelt / Den Ruhm der Liebe
Käyserliche Haupt-
und Residenz-Stadt Wienn
Erchtag, den 14. April 1711
SECHSTER TAG
7. Stunde: Es schlägt die Türkenglocke, auch Betglocke genannt.
«Es träumt der Mensch seit eh und je, in den heit’ren Äther sich zu erheben und das untilgbare Brandmal der sterblichen Spezies zu bezwingen, welche in den Himmel nur zu gelangen vermag, indem sie die irdische Hülle
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