Veritas
haushoch überlegener Pionier große Wertschätzung: Teobaldo Scapestri, von seinen Landsleuten Testadura, Dickschädel genannt wegen seiner Hartnäckigkeit und der unglaublichen Widerstandskraft seines Schädels.
Teobaldo hatte sogar mit Leonardo zusammengearbeitet und ihn auch bei einigen Studienaufenthalten begleitet. Doch hatte er recht bald begriffen, dass er allein ebenso viel vermochte, und dank einer willkommenen Erbschaft, die ihn unversehens zum reichen Manne machte, war er mit einer unerschütterlichen Gewissheit nach Aquilaia zurückgekehrt: Wenn er die durch Leonardo erworbenen Kenntnisse nutzte, würde er endlich die fliegende Maschine erschaffen. Im Handumdrehen hatte er ein paar Pfähle mit Pech zusammengeschweißt und ein grobes Tuch als Segel aufgespannt.
Eines schönen Morgens im Jahre 1514 stieg er also auf den Turm des Ortes und brüllte: «Ich fliiiege!» Dann ließ er sich unter wildem Schlagen der Flügel fallen. Er stürzte wie ein Stein zwischen die Marktstände auf den Karren eines Eierverkäufers, welcher die wissenschaftliche Bedeutung des Ereignisses nicht zu schätzen wusste und ihn unverzüglich vor den Richter schleppte, um sich den Schaden bezahlen zu lassen. Doch Dickschädel war nicht der Mann, bei der ersten Schwierigkeit aufzugeben, und wiederholte das Experiment schon bald: Diesmal zielte er präzise auf einige Säcke mit Saatgut, beim nächsten Mal auf einen Misthaufen. Nun brach in Aquilaia ein Aufstand los, und der Bürgermeister musste dem tapferen Teobaldo jedes Experiment verbieten. Freilich gab der kühne Mann nicht auf, sondern bat darum, seine Übungen zur Nachtzeit durchführen zu dürfen, wenn die Dunkelheit auf seiner Seite war. Der Plan erhielt die Zustimmung der Einwohner und des Bürgermeisters, da auf diese Weise niemand Gefahr lief, von Teobaldo getroffen zu werden. Von dem Tag an hörte man in Aquilaia allnächtlich den berühmten Schrei «Ich fliiiege!» und gleich darauf den Aufprall von Teobaldos Kopf auf dem Pflaster.
So ging es ein paar Jahre lang. Im Ort war man inzwischen daran gewöhnt, Teobaldo mit verbundenem Kopf auf der Straße zu begegnen, gefolgt von einer Schar Kinder, die ihn verspotteten und mit Steinen bewarfen.
Eines Nachts im Jahre 1522 vernahm man wieder das berühmte «Ich fliiiege!» und dann nur ein fernes Lachen. Von dem Tag an hörte keiner mehr etwas von Teobaldo Scapestri. Einige meinten, er habe es endlich geschafft aufzusteigen und sei kühn wie ein Adler wer weiß wohin geflogen. Andere dagegen sagten, durch sein Treiben wider die Natur habe Dickschädel den Teufel erzürnt, worauf dieser nach Aquilaia gekommen sei und ihn mitgenommen habe. Ein Trunkenbold, der in jener Nacht auf dem Platz eingeschlafen war, erzählte eine sonderbare Geschichte: Teobaldo sei auf den Turm gestiegen, habe sein «Ich fliiiege!» gerufen, dann die rechte Hand an den linken Ellenbogen gelegt und den Mittelfinger der linken Hand gegen den ganzen Ort ausgestreckt; darauf sei er die Treppe herabgestiegen und habe sich herzhaft lachend auf einem Maulesel entfernt.
«Der Legende nach soll das Gespenst dieses Pioniers der Luftfahrt immer noch in Aquilaia umgehen», schloss Penicek. «Einige behaupten, man höre von Zeit zu Zeit das berüchtigte ‹Ich fliiiege!› und dann den Aufprall auf dem Pflaster. Abergläubische Händler vermeiden es, ihre Karren unter dem Turm abzustellen, um sie nicht am Morgen halbzertrümmert wiederzufinden.»
Da er nach all diesen Geschichten, die schon mindestens zwei Jahrhunderte alt waren, unsere enttäuschten Mienen gewahrte, fügte Penicek schnell hinzu, es sei ihm zum Glück gelungen, auch etwas aus neuerer Zeit zu finden. Dieses sei zudem der interessanteste Teil des Berichts, und im Mittelpunkt stehe wie immer ein Italiener: ein Jesuitenpater.
Er hieß Francesco Lana, war 1613 in Brescia als Sohn adeliger Eltern geboren und mit sechzehn Jahren in die Gesellschaft Jesu eingetreten, wo er ernsthafte Studien auf dem Gebiet der Mathematik und der Naturwissenschaften begann. Sein leidenschaftliches Ingenium und sein unermüdlicher Eifer führten ihn in zahlreiche Städte Italiens und endlich zu dem Entschluss, eine Lehrtätigkeit aufzunehmen, in deren Ausübung er sich alsbald die Achtung von Forschern aus aller Herren Länder erwarb.
Im Alter von neununddreißig Jahren veröffentlichte er in Brescia sein Hauptwerk: ein Traktat mit dem Titel Prodrom , oder auch Behandlung mannigfacher Entdeckungen , darin er mit
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