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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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weiter, und nun setzten allerlei Vermutungen ein.
    «Mir scheint klar», hub mein Gehilfe an, «dass das Mädchen, mit dem Populescu verabredet war, sein Verhängnis bedeutete.»
    «Es ist dieselbe, von der Dragomir Informationen über den Goldenen Apfel erbeten hat. Aber sie kann es nicht gewesen sein», wandte Koloman ein. «Sie hätte nicht die Kraft gehabt, ihn auf die Spitzen der Kerzenhalter zu spießen.»
    Ich betrachtete Abbé Melani. Er saß an meiner Seite, den Kopf nach hinten geneigt, von Cloridia gut zugedeckt. Sie redete leise auf ihn ein, um ihm Mut zu machen, stellte ihm Fragen nach seinem Befinden, freilich ohne eine Antwort zu erhalten. Der Abbé hielt die Augen geschlossen, er tat so, als ob er schlief. Doch ich kannte den Kastraten, diesen schlauen Fuchs: Ich wusste, dass er alles hörte und im Geiste erwog.
    «Antwortet, wenn Ihr den Mut habt», zischte ich ihm ins Ohr, «haltet Ihr diesen Tod auch für einen Zufall?»
    Atto zuckte leicht zusammen, aber er schwieg.
    Unterdessen fuhr Koloman fort: «Ich würde sagen, es ist das Werk von mindestens zwei Männern, vielleicht Verwandte von ihr. Und auch diesen Käfig so hoch oben zu verstecken …»
    «Es ist ein tandur », unterbrach ihn Cloridia.
    «Wie bitte?», fragte ich, da ich mich nicht erinnerte, wo ich dieses Wort schon einmal gehört hatte.
    «Ich habe ihn sorgfältig untersucht. Der Behälter für die abgeschnittene Scham eures Kameraden ist ein armenischer tandur .»
    «Armenisch?», fuhr ich auf.
    «Ja, es ist eine Art Öfchen.»
    Jetzt entsann ich mich. Cloridia hatte mir bei ihrer Rückkehr von der Audienz des Agas davon erzählt. Es handelte sich um ein mit Glut und brennenden Kohlen gefülltes Öfchen. Man stellte es unter einen Tisch, von dem Wolldecken bis zum Boden herabhingen. Die Armenier pflegten die Decken an sich zu ziehen und ihre Hände und Arme darunterzustecken, um sie zu wärmen.
    «Dann sind es also wirklich die Osmanen gewesen!», rief ich aus. «Du selbst hast mir gesagt, Cloridia, dass einige Armenier im Gefolge des Agas verlangten, einen tandur zu entzünden, was freilich eine Feuersbrunst im Palais hätte heraufbeschwören können.»
    Als er erneut den Namen des Agas hörte, erbleichte Koloman Szupán, rieb sich fahrig die Hände und fragte Cloridia, ob sie sich ihrer Behauptung wirklich sicher sei und wie zum Teufel ein tandur genau funktioniere.
    Während meine Gattin antwortete, dachte ich an den Armenier, der sich mit Abbé Melani getroffen hatte, und an das Säckchen mit Münzen, das der Kastrat ihm schließlich in die Hand gesteckt hatte.
    «Es sind Armenier gewesen, Herr Atto», sagte ich leise zu ihm, damit die anderen mich nicht hörten. Ich blickte ihn grimmig an. «Die Armenier des Agas, um genau zu sein. Sagt Euch das nichts? Vielleicht haben sie einen Komplizen, jemand, der ihnen Geld für diesen Mord gegeben hat, viel Geld.»
    Der Abbé schwieg.
    «Endlich haben wir einen Beweis, dass es diese verfluchten Osmanen gewesen sind. Und wenn sie Dragomir umgebracht haben, sind sie auch die Mörder von Danilo und Hristo», fuhr ich fort, ihn zu bedrängen.
    Melani rührte keinen Muskel. Er schien zu schlafen. Ich hub wieder an:
    «Ihr wolltet mich sprechen, um Eure Unschuld zu erklären. Den ganzen Abend lang habt Ihr mich verfolgt. Jetzt bin ich hier und höre Euch an, nur zu! Warum habt Ihr mir plötzlich nichts mehr zu sagen?»
    Atto wandte mir sein Gesicht zu, und hinter den schwarzen Gläsern sah ich ihn die Brauen zusammenziehen, als wolle er mich mit seinem blinden Blick treffen. Er presste die Lippen zusammen, vielleicht um die Worte zurückzuhalten, die ihm in der Kehle aufwallten.
    Er war wirklich dickköpfig, der alte Kastrat. Er verschloss die Augen vor der Tatsache, dass ich nicht mehr der Tölpel war, den er vor elf Jahren in der Villa Spada zurückgelassen hatte und hier in Wien wiederzufinden glaubte. Vor allem aber ertrug er es nicht, das rhetorische Geschick und die Schlagfertigkeit verloren zu haben, die ihm ehedem erlaubt hatten, mich zu täuschen. Und darum zog er es jetzt vor, eisern zu schweigen.
    «Dieser Populescu war Rumäne», zischte er endlich. «Wenn du nicht so ahnungslos wärst, was diese Länder betrifft, wüsstest du, dass auch Rumänien von der Hohen Pforte beherrscht wird. Wie auch immer: Türken, Armenier oder Rumänen, für mich macht das keinen Unterschied – ich habe nichts damit zu tun.»
    «Wir sind tot, wir sind alle tot!»
    Von Melanis Antwort peinlich zum

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