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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Schweigen gebracht, dachte ich über meine Ignoranz und das unerwartete Schauspiel nach, das sich mir nunmehr eröffnete: Koloman wiederholte mit weit aufgerissenen Augen immer den gleichen Schreckensruf. Dabei schützte er mit den Händen den Stängel zwischen seinen Schenkeln, als fürchtete er, auch dieser könne durch einen bösen Zauber als Geschnetzeltes in einem tandur enden.
    «Moment mal», unterbrach ihn Cloridia, «es ist nicht gesagt, dass es ausgerechnet die Armenier des Agas waren. Populescus Mädchen war auch eine Armenierin.»
    Die Feststellung meiner Gemahlin riss mich aus meinen Grübeleien und erstaunte uns alle.
    «Wie kannst du das so sicher sagen?», fragte ich.
    «Weil Populescu sich gebrüstet hat, die türkischen Harems zu kennen.»
    «Stimmt, und du hast ihn einen Eunuchen genannt», erinnerte ich mich, wobei mir mit einem Schauder bewusst wurde, dass Cloridias Worte prophetisch gewesen waren: Auf dem Kalvarienberg hatte man Dragomir entmannt.
    Recht bedacht, fuhr sie fort, könne Populescus Gerede über die Harems nur von einer osmanischen Frau stammen, allerdings von keiner Türkin.
    «Dragomir konnte nie einen Harem gesehen haben, weil Männer, wie ich schon sagte, dort keinen Zutritt haben, außer eben Eunuchen. Seine Rede aber hat ein Wissen über Harems offenbart, das nur jemand haben kann, der dort gelebt hat. Es genügt nicht, sie zu besuchen.»
    Außerdem, fügte Cloridia hinzu, seien die Armenier ein von den Türken unterjochtes Volk, also müssten viele als Diener arbeiten, und weil sie ihre Herren hassten, sagten sie die nackte Wahrheit über die Harems. Auch aus den Einzelheiten über die Schminke lasse sich folgern, dass Dragomirs Quelle eine Frau gewesen war, und die Verachtung für die schwarzen Dienerinnen spreche für eine Armenierin. Denn die Armenier sehen auf die Neger herab, die ihnen als Untermenschen gelten, und sie verabscheuen es, mit ihnen arbeiten zu müssen.
    «Die Schamteile Populescus», schloss Cloridia, «könnten in den tandur gesteckt worden sein, als Warnung, die armenischen Frauen in Ruhe zu lassen.»
    «Das ist nicht möglich», protestierte ich, «Danilo, Hristo und jetzt Dragomir. Sie waren Freunde, und alle drei sind kurz nacheinander gestorben. Das ist kein Zufall.»
    «Tatsache ist jedoch», wandte Simonis ein, «dass Dragomir uns angekündigt hat, er wolle prüfen, ob sein Mädchen unberührt war.»
    «Und wie wollte er das tun?», fragte Cloridia.
    «Er wollte ihr Wasser mit Sal Armoniacum zu trinken geben und sie pulverisierte Ephen-Wurzeln einatmen lassen. Wenn sie keine Jungfrau mehr war, würde sie den Harn nicht halten können.»
    «Dann hat sich euer Freund das selbst eingebrockt!», rief meine Frau entrüstet aus. «Jetzt glaube ich gern, dass die Schöne ihn entmannt hat!»
    «Ein offenkundiger Beweis überdies, dass das Mädchen nicht mehr unberührt war», bemerkte Penicek.
    «Schweig, Pennal!», rügte Simonis ihn verärgert.
    «Was für ein Schwachkopf Dragomir gewesen ist! Wie kann man sich nur mit einer Armenierin einlassen?», keuchte Koloman, die Zunge schwer vor Angst.
    «Warum?», wunderte ich mich.
    «Mit diesen Leuten ist nicht zu spaßen. Erzählt mir nicht, dass ihr es nicht wisst: Kaffeehäuser sollte man meiden wie die Pest, alle. Jeder Dummkopf weiß, dass die Armenier die unzuverlässigsten, ruchlosesten Menschen überhaupt sind. Sie halten es mit allen und mit niemandem, diese Satansbrut, Schlangen in Menschengestalt.»
    Koloman erinnerte mich an eine historische Begebenheit, die er mir vordem schon einmal erzählt hatte: Während der großen türkischen Belagerung Wiens im Jahr 1683 hatte es eine Woche vor der entscheidenden Schlacht einen sehr schweren Fall von Verrat gegeben. Jemand aus der Stadt hatte die Osmanen informiert, dass Wien am Ende seiner Kräfte sei und sofort eingenommen werden könne. Die Miliz wollte standhalten, doch sie zählte nur mehr fünftausend Soldaten. Die Bürger aber waren zu einem Waffenstillstand mit den Türken bereit, um die Unbilden der Belagerung nicht länger ertragen zu müssen und die Gefahr abzuwenden, im Falle einer Niederlage niedergemetzelt zu werden. Die Kontroverse zwischen Militär und Zivilbevölkerung war noch nicht entschieden, und am 5. September befand sie sich just in einem sehr heiklen Stadium, wo sowohl die eine als auch die andere Seite überwiegen konnte. In der allgemeinen Verwirrung, die in der Stadt herrschte, hatte die Bewachung der Festungsanlagen nachgelassen.

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