Veritas
unvergleichlichem Scharfsinn zahlreiche wissenschaftliche Fragen und unter anderem auch den Plan eines flugtüchtigen Gerätes erörterte.
An dieser Stelle erwachten wir aus dem Halbschlaf, in den uns Peniceks bisheriger Vortrag versetzt hatte.
Lanas Projekt, erklärte er, basiere auf einer simplen Feststellung: Die Luft hat ein bestimmtes Eigengewicht, welches freilich viel geringer ist als das anderer Elemente, doch wenn ein Körper noch leichter ist als die Luft, die er verdrängt, dann steigt er in die Höhe. Würde man folglich mittels einer einfachen Pumpe aus einem Paar großer und sehr leichter Kugeln, die zum Beispiel aus einer äußerst dünnen Kupferschicht bestehen, deren eigene Luft absaugen, würden sie leichter als die sie umgebende Luft werden, infolgedessen aufsteigen und dabei sogar ein kleines Fahrzeug mit sich in die Höhe heben können.
«Etwas wie … ein Fliegendes Schiff!», bemerkte ich.
«In der Tat hat der Jesuit seine Idee ebenso benannt», sagte Penicek, indem er uns eine Kopie von Lanas Entwurf zeigte, die er aus einem Exemplar des Traktats abgezeichnet hatte.
«Und … ist dieses Schiff jemals geflogen?», fragte Simonis.
In Wahrheit, erklärte der Pennal, wurde das im Prodrom beschriebene Schiff nie erbaut. Manche meinen, der Jesuit habe freiwillig darauf verzichtet, weil er fürchtete, wer das Schiff lenke, könne sein eigenes und das Leben anderer gefährden. Lana begnügte sich damit, das Projekt im Hof eines florentinischen Palazzos der Jesuiten anhand eines kleinen Modells zu veranschaulichen. Doch niemand weiß, ob das Modell damals wirklich flog. Der italienische Geistliche war auf jeden Fall wenig geneigt, sein Fliegendes Schiff zu erbauen, war er doch überzeugt, es würde augenblicklich zu kriegerischen Zwecken benutzt. Leider gelang es niemandem, ihn umzustimmen. Unter dem Gewicht seines ungeheuren Ingeniums starb der Jesuit 1687 im Alter von nur fünfundsechzig Jahren, ohne dass seine Eingebung je verwirklicht wurde.
Simonis und ich wechselten einen enttäuschten Blick. Peniceks Bericht hatte sich zu vier Fünfteln um nutzlose Anekdoten und langvergangene Begebenheiten gedreht, während er uns über das einzige Zeugnis, das näher an unser Erlebnis erinnerte, also das Fliegende Schiff des Jesuiten Francesco Lana, nur allgemeine Informationen hatte liefern können.
«Ausgerechnet so ein dämlicher Pennal aus Prag musste mir unterkommen!», brummte der Grieche verdrossen und fuhr sich mit gespielter Verzweiflung durch die Haare.
«Eine letzte Frage», sagte ich und brachte meinen Gesellen mit einem Ellenbogenstoß zum Schweigen, damit er den armen Penicek nicht über Gebühr einschüchterte. «Auf welche Weise hätte das Schiff von Francesco Lana, nachdem es in die Luft gestiegen war, sich in diese oder jene Richtung wenden können?»
«Das steht im Prodrom nicht geschrieben. Man sagt, Lana habe an ein System von Zugstangen gedacht, die die Ausrichtung des Schiffes beeinflussen konnten. Er mag das, wenn überhaupt, bei seinem Experiment im Jesuitenhof in Florenz umgesetzt haben. Aber das ist nur Gerede – Genaues weiß man nicht.»
Simonis fluchte leise, wobei er sich selbst, den Pennal und sogar die noble Einrichtung der Deposition verwünschte, die ihm diesen vertrottelten Prager wie einen Klotz ans Bein gehängt hatte.
Die beiden Studenten verabschiedeten sich. Penicek erhielt von Simonis den Befehl, noch einmal die gesammelten Dokumente zu konsultieren, damit er ihm Nützlicheres berichten könne, und sich dann zur Alma Mater Rudolphina zu begeben, um dort für Simonis einigen Vorlesungen beizuwohnen und ihm die Aufzeichnungen sodann ins Kloster zu bringen. Mein Geselle schickte sich an, mit dem Kleinen wieder an die Arbeit zu gehen: Wir mussten dringend einige Kehrarbeiten in den Vorstädten verrichten. Leider war der Weg zu weit, um den alten Abbé auf dem Karren mitzunehmen. So blieb ich wohl oder übel mit Atto allein.
«Wohlan denn, könnten wir jetzt vielleicht über etwas ernstere Dinge sprechen?», setzte der Alte an, kaum dass die anderen sich entfernt hatten.
Ich hätte alles darum gegeben, mich dieser Unterredung nicht aussetzen zu müssen, hatte ich doch schon am Vorabend während der Proben zum Heiligen Alexius und dann in der Blauen Flasche vor Abbé Melani fliehen müssen. Populescus Tod hatte uns abermals abgelenkt, jetzt aber gab es keine Möglichkeit mehr, sich zu entziehen.
Ich war entschlossen, mich nicht wieder einwickeln zu lassen.
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