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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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die Ordensfrauen im klostereigenen Weinberg in Simmering besaßen, unweit des Ortes, an den ich mich begeben wollte. Dieser Keller war sehr groß und mit einem kleinen Saal nebst Kamin ausgestattet, dessen Rauchfang eine Säuberung wohl vertragen konnte. Ich erhielt die Schlüssel und versprach Camilla, mich so bald wie möglich um den Kamin zu kümmern.
    Den Gehilfen hatte ich bereits angewiesen, das Maultier zu zäumen und den Karren mit allem Nötigen zu versehen. Als ich auf die Straße trat, fand ich mein Söhnchen bereits auf dem Kutschbock sitzend, wo er mich mit seinem üblichen breiten Lächeln erwartete.

    Ein Rauchfangkehrermeister musste aber außer über einen Lehrjungen auch über einen Gesellen, Burschen, Arbeiter oder Werkstattgehilfen, wie auch immer man ihn nennen will, verfügen. Meiner war ein Grieche, und ich war ihm zum ersten Mal im Kloster an der Himmelpfortgasse begegnet, wo er als Faktotum diente: Hausbursche, Tagelöhner und Bote. Es war Simonis, der junge, redselige Idiot, der Cloridia und mich vor zwei Monaten zu der Verabredung mit dem Notar begleitet hatte.
    Kaum hatte er erfahren, dass meine Wenigkeit Inhaber eines Schornsteinfegergewerbes war, hatte er mich gefragt, ob ich einen Gehilfen benötige. Seine befristete Anstellung in der Himmelpfortgasse, wo er die Keller leer geräumt hatte, sollte bald enden, und Camilla persönlich hatte ihn mir wärmstens empfohlen, indem sie mir versicherte, er sei weit weniger ein Idiot, als es den Anschein habe. So hatte ich ihn angestellt. Er würde seine Kammer im Himmelpfortkloster behalten, bis mein Haus in der Josephina fertig war, um dann bei mir und meiner Familie zu wohnen, wie es Brauch ist bei Gehilfen und Meistern.
    Die Tage verstrichen, und gelegentlich führten wir ein kurzes Gespräch, wenn man den mühsamen verbalen Austausch zwischen ihm, dem die vernünftige Rede kaum zu Gebote stand, und mir, welcher der Sprache noch weniger kundig war, so nennen konnte. Stets gutgelaunt, stellte Simonis mir unzählige, mehr oder weniger einfältige Fragen und schob gelegentlich eine lustige, schlagfertige Bemerkung ein, die, wenn ich sie denn verstand, freilich bewirkte, dass mir wohl war in Gesellschaft dieses schrulligen, freundlichen Griechen, den es, wie mich, mitten unter die nordische Rauheit der Wiener verschlagen hatte.
    Wenn er den Blick aus blaugrünen Augen starr auf sein Gegenüber richtete, wobei das rabenschwarze Haupthaar ihm ein wenig in die Stirn fiel, konnten seine Gesichtszüge unvermittelt ernst werden, sodass ich nie wirklich begriff, ob Simonis mit größter Aufmerksamkeit verfolgte, was ich auf seine Fragen antwortete, oder ob sein Geist nicht doch zum Gutteil umschattet war. Die Reihe der oberen, kaninchenartig hervorstehenden Zähne, die immer der frischen Luft ausgesetzt waren, ja die Unterlippe fast ganz bedeckten, der stets vorgestreckte, rechte Unterarm mit abgeknicktem Handgelenk, wodurch die Hand nach unten hing, als wäre das Gelenk durch einen Schwerthieb gelähmt – all das gab mir zu der Vermutung Anlass, dass Simonis ein Junge von gutem Charakter, doch von herzlich wenig Geistesgegenwart war.
    Ein Verdacht, der bestärkt wurde, als ich eines schönen Tages entdeckte, dass mein junger Gehilfe meine Sprache verstand.
    Wir reinigten gerade ein besonders verschmutztes Abzugsrohr, als ich fast ausrutschte, und da ich es überdrüssig war, halbfertige Sätze auf Deutsch von mir zu geben, zumal in einer solchen Gefahrensituation, rief ich ihm auf Italienisch zu, er solle mir helfen und das Seil hochziehen, das mich hielt.
    «Seid unbesorgt, Herr Meister, ich ziehe Euch gleich nach oben!», beruhigte er mich sofort in meiner Sprache.
    «Du sprichst Italienisch.»
    «Stimmt», antwortete er lakonisch.
    «Warum hast du mir das nie gesagt?»
    «Ihr habt mich ja nie danach gefragt, Herr Meister.»

    So entdeckte ich, dass Simonis nicht in Wien war, um sich mit irgendeinem lumpigen Posten durchs Leben zu schlagen, sondern aus einem viel nobleren Grund: Er war Student. Student der Medizin, um genau zu sein. Simonis Rimanopoulos, so lautete sein Nachname, hatte ein Studium an der Universität von Bologna begonnen, was auch seine tadellose Kenntnis des italienischen Idioms erklärte. Doch dann hatten ihn die Hungersnot des Jahres 1709 und die Hoffnung auf ein weniger ärmliches Leben nicht zu Unrecht in das opulente Wien und seine altehrwürdige Universität, die Alma Mater Rudolphina , geführt, wo Studenten aus Ungarn,

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