Veritas
Polen, aus dem östlichen Deutschland und viele andere mehr zusammenkamen.
Simonis gehörte nämlich zur wohlbekannten Kategorie der Bettelstudenten, jenen armen Studenten ohne familiäre Unterstützung also, die ihr Dasein mit Behelfen jeder Art fristeten, einschließlich des Betteins, falls erforderlich.
Für Simonis war es ein großes Glück, dass ich ihn angestellt hatte: Die Bettelstudenten waren in Wien nicht besonders gut gelitten. Ungeachtet wiederholter amtlicher Erlasse sah man nämlich häufig vagabundierende Studenten – dazu andere, die sich ihnen beigesellten, aber gar keine Studenten waren – Tag und Nacht, ja sogar während der Vorlesungszeit, auf den Straßen, vor den Kirchen und Häusern betteln. Hinter dem Anschein des Studierens gaben sich diese jungen Männer dem Müßiggang, Diebstählen und Räubereien hin, und noch immer erinnerte sich jeder des Aufruhrs in der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 1706 in und außerhalb der Stadt und auch noch in Nußdorf, in dessen Folge überaus gründliche (wiewohl vergebliche) und noch immer andauernde Ermittlungen durchgeführt wurden, um mit strenger Bestrafung gegen die Schuldigen vorzugehen. Solche Studenten warfen ein schlechtes Licht auf den guten Namen der anderen, rechtschaffenen, und Ihro Kaiserliche Majestät hatte unzählige Beschlüsse erlassen, um ein für alle Mal jenes beklagenswerte Betteln auszumerzen. Nach jenen Tumulten vor fünf Jahren war dem Dekan, den Kaiserlichen Oberaufsehern und dem Konsistorium der altehrwürdigen Wiener Universität befohlen worden, eine letzte Warnung auszusprechen: Innerhalb von vierzehn Tagen mussten die Bettelstudenten die Kaiserstadt verlassen.
Andernfalls würden sie von der Guardia aufgegriffen und ad Carceres Academicos , also in die Gefängnisse der Universität gebracht und dort empfindlichen Strafen unterzogen. Jene armen Studenten aber, welche sich täglich mit großem Fleiß ihren Studien widmeten, sollten sich bei den Alumnates ein Stipendium beschaffen oder sich eine andere Art Unterhalt suchen. Einzig, wer dies nicht vermochte, weil es an verfügbaren Arbeitsstellen fehlte oder weil er einen besonders anspruchsvollen Studiengang gewählt hatte und gezwungen war, während der vorlesungsfreien Zeit um Almosen zu betteln, durfte so fortfahren wie bisher, doch er sollte nur das Allernötigste erbetteln, und das, bis eine neue Verfügung erging. Außerdem musste er das amtliche Erkennungszeichen echter Bettelstudenten immer an der Brust tragen und allmonatlich von der Universität erneuern lassen. Andernfalls würde er nicht als echter armer Student anerkannt, sondern als vagabundierender, und darob unverzüglich eingesperrt.
Das erklärte nun, was Simonis bewogen hatte, sich als Rauchfangkehrergeselle zu verdingen: Die Gefahr, ob des Bettelns ins Gefängnis zu kommen, war allgegenwärtig.
Wie dieser leutselige, schlichte Geist es allerdings fertiggebracht hatte, meine Sprache so gut zu erlernen, vor allem aber, wie zum Teufel er es sogar an die Universität geschafft hatte, das blieb nun freilich ein Rätsel.
«Herr Meister, wünscht Ihr, dass ich den Karren lenke, da ich den Weg kenne?»
Tatsächlich besaß ich nur eine unklare Vorstellung von der genauen Lage der kaiserlichen Besitzung: in der Simmeringer Haide südöstlich von Wien, unweit von Ebersdorf. In dem Auftragspapier wurde sie überdies auf recht befremdliche Weise bezeichnet: «Der Ort Ohne Namen, genannt Neugebäu.» Ich hatte versucht, meine Zunftbrüder zu befragen, indes nur vage Antworten erhalten, was wohl auch darin begründet lag, dass ich aufgrund meiner kaiserlichen Ernennung schlecht angesehen war. Niemand hatte mir genau erklären können, welcher Natur das Gebäude war, das zu inspizieren ich mich anschickte. «Bin nie da gewesen», sagte einer, «aber ich glaube, es ist so eine Art Villa», «Ich hab’s zwar nie gesehen, doch ich weiß, dass es sich um einen Garten handelt», sagte ein anderer. «Das ist ein Jagdschlösschen», schwor wieder ein anderer, während der Nächste es als «ein Gehege für Vögel» bezeichnete. Eines war gewiss: Keiner meiner Schornsteinfegergenossen hatte den Ort je besucht, und ebenso wenig schienen sie erpicht darauf.
Es war ein langer Weg zum Ort Ohne Namen. Gerne überließ ich Simonis die Zügel des Maultiers. Der Kleine hatte darum gebeten, ebenfalls auf dem Kutschbock sitzen zu dürfen, und es war ihm gewährt worden. Nun saß er neben dem Griechen, der ihm von Zeit zu Zeit die
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