Veritas
Melanis Bekanntschaft machte, der ebenfalls zu den Gästen des Donzello gehörte.
Cloridia hat mir schließlich berichtet, was ihr widerfahren war, nachdem man sie ihrem Vater entrissen hatte. Doch niemals hatte sie mir etwas über ihre Mutter anvertrauen wollen. «Ich kannte sie nicht», hatte sie mich zu Beginn unserer Bekanntschaft belogen, um sich später nach und nach mit beiläufigen Bemerkungen zu verraten, wie zum Beispiel, dass der Duft von Kaffee sie sehr an ihre Mutter erinnere. Doch schließlich hatte sie meiner Neugierde für immer Einhalt geboten, indem sie feststellte, von ihrer Mutter erinnere sie «nichts, nicht einmal das Gesicht».
Statt von Cloridia selbst hatte ich dann im Donzello erfahren, was ich über ihre Mutter wusste: Die Sklavin der mächtigen Odescalchi, jener Familie, in deren Diensten auch ihr Vater stand, wurde wenige Tage vor Cloridias Entführung an wer weiß wen verkauft, ohne dass der Vater sich hätte mit legalen Mitteln wehren können, da er sie nicht geheiratet hatte.
Von der gemeinsam mit der Mutter verbrachten Kindheit meiner Gemahlin wusste ich jedoch nichts. Ihre Miene verfinsterte sich, sobald ich oder unsere Töchter neugierige Fragen stellten.
Zu meiner großen Überraschung hatte Cloridia vor wenigen Wochen den Vorschlag der Chormeisterin angenommen, sich als Mittlerin zwischen den Savoyern und dem Personal des Agas zu verdingen. Einen bösen Blick hatte meine Gattin mir allerdings zugeworfen, lag es doch auf der Hand, durch wen Camilla von ihrem osmanischen Blut erfahren hatte …
Und ebenso erstaunt war ich, da ich bis zu diesem Augenblick nicht geahnt hatte, dass meine Frau das Türkische so gut beherrschte! Die scharfsinnige Chormeisterin indessen hatte bei der Nachricht von der Ankunft einer osmanischen Gesandtschaft sogleich an Cloridia gedacht. Offenbar war sie sich der Sprachkenntnisse Cloridias bereits gewiss – erstaunlicherweise, denn ich hatte ihr ja erzählt, dass meine Frau sehr früh von ihrer Mutter getrennt worden war.
Im Kreuzgang des Klosters angelangt, konnte ich um Haaresbreite zwei Lastträgern ausweichen, die unter dem Gewicht einer gewaltigen Truhe schwankten und zum Missfallen der alten Schwester Pförtnerin den Verputz an den Wänden zu beschädigen drohten.
«Euer Herr scheint sich Kleidung für zehn Jahre mitgenommen zu haben», brummte die Ordensfrau, womit sie sich offenbar auf einen soeben eingetroffenen Gast bezog.
73. Stunde, wenn in Wien die Adeligen zu Mittag speisen (während sie in Rom soeben erwacht sind), die Hofangestellten in die Kaffeehäuser schwärmen und in den Theatern die Aufführungen beginnen
Dieser Tag war zweifach bedeutend. Nicht nur hatte Cloridia ihre Anstellung im Palais eines Prinzen, exzellenten Heerführers und Ratgebers des Kaisers angetreten; auch ich schickte mich an, meine Pflichten im Dienst des Hocherhabenen Joseph I. zu erfüllen. Nach den strengen Wintermonaten und einem ebenso kalten Frühlingsbeginn hatten die ersten linden Lüfte geweht. Auch in der Umgebung von Wien war der Schnee geschmolzen, und der Zeitpunkt war gekommen, sich der Kamine und Rauchabzüge des verlassenen Gebäudes in kaiserlichem Besitz anzunehmen, jener Aufgabe also, um deretwillen ich ein so begehrtes Amt erhalten hatte: Hofbefreiter Rauchfangkehrer.
Wie zu erwähnen ich schon Gelegenheit fand, hatten die Wetterbedingungen der vergangenen Monate Arbeiten an einem so großen Gebäude, wie jenes, das mich nach allgemeiner Aussage erwartete, bislang verwehrt. Überdies hatte die Schneeschmelze in den oberen Abschnitten der Donau alle Brücken zerstört und eine große Menge Eises in den Fluss getrieben, infolge dessen das Gewässer außerordentlich gestiegen und große Schäden in den Gärten der Vorstädte entstanden waren. Darum hatten mir einige weniger neidische Genossen der Rauchfangkehrerinnung nachdrücklich davon abgeraten, mich vor Beginn der milderen Jahreszeit an die Arbeit zu machen.
An diesem schönen Vormittag Anfang April strahlte die Sonne vom Himmel – obschon die Temperatur frostig blieb, zumindest meinem Empfinden nach –, und so beschloss ich, dass die Zeit gekommen sei: Ich würde mit der Pflege der verlassenen Besitzung Ihrer Majestät beginnen.
Die Gelegenheit meiner Fahrt nach Simmering ergreifend, hatte die Chormeisterin mich freundlich um einen Gefallen gebeten: Die Schwester Vorratsverwalterin der Himmelpforte wünschte, dass ich, so ich Zeit fände, einen Blick auf den Weinkeller warf, den
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