Veritas
meine Gemahlin durch Vermittlung der Chormeisterin Camilla de’ Rossi eine zwar befristete, doch gutbezahlte, honorable Anstellung gefunden: Dank ihrer Herkunft beherrschte sie nämlich das türkische Idiom recht gut und damit auch die lingua franca , nämlich jene dem Italienischen nicht unähnliche Sprechweise, die vor Jahrhunderten von Genuesern und Venezianern in Konstantinopel eingeführt worden war und welche die Osmanen häufig verwendeten. Darum war Cloridia eingesetzt worden, als Mittlerin zwischen dem Personal des Ambassadeurs und der Dienerschaft des Prinzen Eugen zu wirken. Denn damit konnten sich die beiden Dolmetscher, welche die offiziellen Gespräche der beiden Potentaten zu übersetzen hatten, wahrhaftig nicht auch noch befassen.
«Na gut, aber nicht mehr als eine Karaffe!», sagte Cloridia abschließend zu dem Lakaien.
Ich sah sie fragend an: Obwohl sie die letzten Worte auf Italienisch gesprochen hatte, warf der türkische Diener ihr ein schlaues, wissendes Lächeln zu.
«Er ist bei Zenta festgenommen worden und hat während der Gefangenschaft ein wenig Italienisch gelernt», erklärte mir Cloridia, während der Mann hinter dem großen Portal des Palais verschwand. «Wein, Wein, immer wollen sie trinken! Ich habe versprochen, dass ich ihm und seinen Freunden heimlich eine Karaffe mitgebe, ich werde die Schwestern in der Himmelpforte darum bitten. Aber nur eine! Sonst erfährt es der Aga und lässt sie alle um einen Kopf kürzer machen. Und dabei teilt der Spesierungs-Commissar jeden Tag drei Okka Wein, zwei Okka Bier und ein halbes Okka Kochwein an die Armenier, die Griechen und die Juden im Gefolge des Agas aus. Warum bekennen diese Türken sich nicht zu unserem Gott? Der lässt sogar die Priester in der Kirche Wein trinken!»
Dann machte Cloridia Anstalten, dem Kloster zuzueilen.
«Soll ich den Wein besorgen?», fragte ich.
«O ja, gerne. Bitte die Schwester Vorratsaufseherin, mir eine Karaffe vom schlechtesten Wein bringen zu lassen, aus Liesing oder Stockerau, mit dem sie in der Krankenstation Wunden auswaschen. Dann kommen die Lakaien nicht allzu sehr auf den Geschmack.»
Bevor das Portal des Palais geschlossen wurde, lief Cloridia hinein und warf mir einen letzten, lächelnden Blick zu. Dann verschwand sie hinter den Torflügeln.
Wie mein Weib aufgeblüht war, jetzt, wo es uns wieder gutging, dachte ich vor dem nunmehr verriegelten Tor. Die letzten beiden Jahre hatten sie geschwächt und ihr einst so heiteres Gemüt verfinstert. Jetzt aber war ihre Schönheit zurückgekehrt: die schwungvollen Lippen, das Farbenspiel der Wangen, die ausdrucksvolle Stirn, das Leuchten ihrer Haut, die lockige Üppigkeit ihres Haarschopfs – all das war wieder so wie früher, vor der Hungersnot. Wenngleich die kleinen Falten des Alters und des Leidens aus ihrem zarten Gesicht nicht verschwunden waren und inzwischen auch das meine furchten, so hatten sie doch alle Bitterkeit verloren, ja, sie harmonierten sogar mit Cloridias fröhlichen Gesichtszügen. Das hatte ich niemand anderem als Abbé Melani zu verdanken.
Jenes verwickelte, unentwirrbare Band, das meine Frau, Atto und mich in Rom und in Wien zusammengehalten hatte – so dachte ich auf dem Weg zur Vorratskammer des Klosters –, hatte im Grunde noch ein drittes Ende: das Osmanische Reich. Tatsächlich erstreckte der Schatten der Hohen Pforte sich über mein ganzes Leben. Und das nicht nur, weil wir Diener in der römischen Villa des Kardinals Spada vor elf Jahren das Abendessen im Garten als Janitscharen verkleidet serviert hatten, zum Amüsement der Tischgenossen, unter denen auch Abbé Melani weilte. Nein, den Anfang von allem bildete Cloridias Herkunft, die als Tochter einer türkischen Sklavin in Rom geboren und auf den Namen Maria getauft worden war. Kaum war sie dem Kindesalter entwachsen, wurde sie entführt und nach Amsterdam gebracht, wo sie unter ihrem neuen Namen Cloridia heranreifte und sich, Gott sei’s geklagt, mit dem Feilbieten ihres eigenen Körpers befleckt hatte, bevor sie auf der Suche nach ihrem Vater nach Rom zurückkehrte und dort schließlich, Gott sei’s gedankt, Liebe und Ehe mit meiner Wenigkeit fand. Wir lernten uns in der Locanda des Donzello kennen, wo ich damals arbeitete, es war im September 1683, just als die berühmte Schlacht zwischen Christen und Ungläubigen vor den Toren Wiens stattfand, bei der Gott sei Dank die Kräfte des Wahren Glaubens triumphierten. Und es waren auch jene Tage, in denen ich Atto
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