Veritas
Joseph nicht mehr mitspielt.»
«Das ist richtig», stimmte ich zu, «der Kaiser schließt Frieden nach allen Seiten, sogar mit dem Papst, der doch franzosenfreundlich ist.»
«Exakt. Glaube endlich einmal, was ich dir sage! Jetzt habe ich dir sogar die Wahrheit über diesen Brief gebeichtet. Der Moment ist gekommen, wo wir alle mit offenen Karten spielen müssen.»
«Ich habe das Euch gegenüber immer getan.»
«Du ja. Eugen aber ist einer, der keinen geraden Weg kennt. Er ist verquer, schief, verbogen. Wie alle von seiner Art.»
«Von was für einer Art sprecht Ihr?»
Er hob die Augen zum Himmel, als bäte er den Allerhöchsten um die Kraft zu schweigen.
«Das ist unwichtig», winkte er ab. «Was ich dir verständlich machen will, ist, dass Eugens Waffenneid – übrigens ein und dasselbe wie seine Sucht nach Ruhm und Macht – ein sehr hässliches Ungeheuer ist. Es ist viel, viel älter als Eugen und wird erst nach dem letzten Soldaten untergehen.»
«Aber man tötet nicht aus Waffenneid, und schon gar nicht den eigenen Herrscher!», protestierte ich.
«Wie man sieht, kennst du dich in der Geschichte nicht aus. Ich könnte dir Beispiele in Hülle und Fülle nennen, beginnend mit dem antiken Athen, wo diese heimtückische Leidenschaft die besten Kommandanten der Flotte grundlos in den Tod schickte», sagte der Abbé, wobei er die Handfläche in die Höhe streckte, um die Vortrefflichkeit dieser Kapitäne zu unterstreichen. «Sie bescherte der Stadt im Peloponnesischen Krieg eine Niederlage, führte zum Fall der Mauern von Piräus und brachte ihr schließlich den Untergang.»
In diesem Augenblick kam eine Gruppe Leute vorbei, die uns offensichtlich für Bettler hielten und zerstreut eine Münze hinwarfen.
«Was war das?», fragte Atto bei dem klingenden Laut.
«Nichts. Mir ist eine Münze aus der Tasche gerutscht», log ich, peinlich berührt.
«Was sagte ich gerade? Ach ja. Gib acht, wir stellen nur Vermutungen an, um unter zahlreichen Verdächtigen den zu entdecken, der tatsächlich gegen den Kaiser intrigiert: England und Holland, Karl oder die Jesuiten, die alten Minister oder Eugen. Was den Waffenneid betrifft, so lassen wir die vielen exempla der Geschichte einmal beiseite. Ich will dir lieber von einem Fall erzählen, der unserer Zeit viel näher ist: Graf Marsili, erinnerst du dich?»
Seltsam, Atto erwähnte Marsili, von dessen ruhmreichen Taten ich erst vor wenigen Stunden gelesen hatte, bis Simonis meine Lektüre durch sein Klopfen unterbrochen hatte.
«Natürlich erinnere ich mich», antwortete ich. «Der Italiener, der Joseph die richtige Strategie für den Sieg empfahl, indem er ihn auf die Fehler des Markgrafen Ludwig von Baden hinwies.»
«Richtig. Die Fortsetzung der Geschichte wird dich lehren, welche Rolle der Waffenneid bei Josephs tödlicher Krankheit spielen könnte. Denn er tötet fast immer.»
Einige Jahre vor der Belagerung Landaus, erzählte Atto, nahm Marsili an der Befreiung Belgrads von den türkischen Besatzern teil.
Dort ereignet sich der erste Zwischenfall. Um seine eigene Strategie durchzusetzen, zwingt der General Guido Starhemberg die Kaiserlichen Truppen zu schweren Verlusten. Das 59. Infanterieregiment unter Marsilis Kommando ist bereits dezimiert. Seit zu vielen Tagen schon reiben die Kaiserlichen sich vergebens an den Mauern der Festung auf. Offen kritisiert Marsili die Strategie Starhembergs, obwohl dieser einen weitaus höheren militärischen Rang hat. Auch mit seinen Untergebenen ist er nicht zimperlich: Er verlangt Schnelligkeit, Disziplin, Sparsamkeit (nicht wenige Offiziere nutzen die verfügbaren Kriegsgelder, um heimlich ein «Trinkgeld» einzustecken). Er lässt seinen Oberstleutnant wegen Insubordination einsperren, worauf dieser ihn wegen Schikane anklagt und vom Dienst suspendieren lässt. Erst später bekommt Marsili sein Recht.
«Im Kampf hat Graf Marsili immer Treue, Ehrlichkeit und Mut von den Soldaten gefordert. Doch er konnte auch seine Vorgesetzten anzeigen, wenn sie einen Irrtum begingen, der Menschenleben kostete.»
«Das ist kühn», bemerkte ich.
«Es ist außerordentlich gefährlich. Zum Glück vermochten seine Feinde wenig oder nichts gegen einen so wertvollen Offizier: Niemand kannte die Gegenden, in denen der Krieg gegen die Türken geführt wurde, besser als er.»
Als die französische Garnison nach der Einnahme Landaus die Waffen vor ihm niederlegt, erstrahlt der militärische Stern Josephs des Sieghaften, fuhr Abbé Melani
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