Veritas
richtigen Kampfgefährten gehabt hätte, verflucht! Denn die Feigheit ist, wie die Ignoranz, ein Unrecht an der Würde des Krieges.
Doch das Schlimmste soll noch kommen. Er wird zusammen mit den anderen Offizieren freigelassen, kehrt in die Reihen der Kaiserlichen Truppen zurück und wird sofort vor das Kriegsgericht gestellt.
«Das Kriegsgericht?», zuckte ich zusammen. «Warum?»
«Dell’Arco, Marsili und die anderen Offiziere wurden angeklagt, weil sie sich ergeben hatten.»
«Aber was hätten sie denn tun können? Die Franzosen hatten zehnmal mehr Soldaten als sie!»
«Hör zu.»
Binnen kürzester Zeit, am 15. Februar, folgen die Urteile: Dell’Arco wird zur Enthauptung, Marsili zur Degradierung und zum Verlust aller militärischen Ehren verurteilt. Drei Tage später richtet man Dell’Arco in Bregenz wie einen gewöhnlichen Kriminellen in aller Öffentlichkeit hin; Marsilis Säbel wird symbolisch zerbrochen. Er hat überlebt, aber er ist für immer entehrt. Die Wut der Menge ist besänftigt, gestillt vor allem der Rachedurst des Markgrafen von Baden: Die Vollstreckung der Urteile gegen die anderen Offiziere kann sogar verschoben werden.
Erst in diesem Moment begreift Marsili, der tapfere Marsili, der nach der Hölle der türkischen Gefangenschaft, nach Folter und Verletzungen, nachdem er sich blutend bis Bologna geschleppt hatte, nichts anderes wollte, als so schnell wie möglich in den Dienst seines Kaisers zurückzukehren; Marsili, der dem Neid, der Gemeinheit und Borniertheit seiner Waffenbrüder hocherhobenen Hauptes begegnete; Marsili, der sich auf dem Felde die Achtung und Dankbarkeit des Deutschrömischen Königs und zukünftigen Kaisers Joseph I. erworben hatte; Marsili, der Gelehrte, der Wissenschaftler, der Bologneser von adeligem Geblüt, der sich auch die Soldateska zu Freunden machte; der Offizier, der verzweifelt jeden Abend in seinem Zelt die Toten des Tages zählte, während die anderen Offiziere tranken und lachten und mit Karten das Geld verspielten, das sie der Garnison gestohlen hatten; nun, erst jetzt erkennt Marsili: Um ihn, der monatelang mehrere tausend Franzosen in Schach halten konnte, zu vernichten, hatte es nur des Neides eines einzigen Mannes bedurft, der überdies aus den eigenen Reihen stammte: des Markgrafen von Baden.
«Oh, Waffenneid, zu welchen Gräueln bist du fähig!», rief Atto düster aus. «Oh, Neid des Soldaten, wie grausam sind deine Verbrechen! Oh, Ressentiment des Offiziers, wie heimtückisch sind deine Taten, wie feige und hinterhältig! Wie viele ahnungslose Kämpfer hast du durch Betrug in den Tod geschickt! Wie viele tapfere Heerführer hast du im Militärgefängnis enden lassen, um sie durch die Faulen und Mutlosen zu ersetzen? Wie viele Sergeanten hast du meuchlings gemetzelt in den Gräben der Lombardei, im Schnee Bayerns, in der kalten Furt eines ungarischen Flusses, damit du ihren Feinden die Medaille der Niedertracht umhängen konntest? Nicht der Markgraf von Baden ist der wirkliche Verbrecher. Du bist es, Waffenneid, das Ungeheuer ohne Gesicht, das die Karriere und das Leben des Grafen Luigi Ferdinando Marsili beendete, aus dem es einen Entehrten und Renegaten machte. Du bist das Ungeheuer, welches durch einen Schuss in den Rücken tötet, welches die Rechtschaffenen diffamiert, die Unfähigen fördert, welches Proviant verschwinden lässt, falsche Informationen über den Feind verbreitet, schadhafte Waffen an die Front schickt, den Belagerten Hilfe verweigert, den Kommandanten Lügen hinterbringt. Schlacht um Schlacht, Krieg um Krieg zerquetschst du so die Heldenhaften am Boden und verschlingst noch ihr Andenken, liebevoll hingegen stärkst du den Neidern, den Kleinmütigen, den Feiglingen den schwachen Rücken: Sie rufen dich an und streben mit deiner Hilfe nach dem Untergang der Guten.»
Atto schwieg. Der alte Kastrat hatte natürlich nie selbst gekämpft, doch in seiner Stimme bebte die Empörung desjenigen, der die Grausamkeit des Krieges versteht. Mir lagen die Fragen schon auf der Zunge:
«Ihr habt gesagt, Marsili sei ein Renegat gewesen. Warum?»
«So hat man ihn genannt, weil er später das Heer des Papstes anführte, obwohl er beim Prozess in Bregenz geschworen hatte, niemals Seite an Seite mit den Feinden des Kaisers zu kämpfen. Doch der Schwur war ihm mit Gewalt abgerungen worden: Wie hätte er gültig sein können? Und außerdem hatte er das Angebot des Papstes angenommen, weil er Bologneser war, mithin Untertan des Papstes. Auch
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