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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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viele andere. Und er kostete es in vollen Zügen aus, sich endlich über den Frau-Mann zu ereifern, der er gewesen war.
    «Ihr behauptet also, dass Vater, Onkel, Bruder und ein Sohn Ihrer Majestät des Königs von Frankreich Invertierte sind …», sagte ich ungläubig.
    «Akkurat. Sein Bruder hat sich jahrelang ein Jüngelchen nach dem anderen kommen lassen, und der König hatte nichts dagegen. Als wäre das auch für ihn ganz normal.»
    Nun lag die Frage in der Luft. Atto kam ihr zuvor:
    «Ja, ja», sagte er mit kummervoller Stimme, «auch über Ihre Majestät, Gott möge mir verzeihen, werden dergleichen Schändlichkeiten geflüstert. Doch das waren nur Versuche, ihn zu konvertieren, pardon, zu pervertieren. Vergebliche Versuche, zum Glück.»
    Die Sodomie, bemerkte Atto, sei die Tochter der Schönheit. Ist sie doch in Griechenland entstanden, wo den Philosophen die Gemeinschaft mit jungen Männern als erhaben galt, weil diese schöner waren als junge Mädchen. Nun, in diesen verbotenen Spielen, geheimen Leidenschaften und unaussprechlichen Experimenten, in die sich ganz Paris gestürzt hatte, sah Eugen sich stets allein. Denn er war hässlich.
    Es war das Alter, in dem junge Menschen aufblühen: Die Augen öffnen sich, die Lippen schwellen, die Brüste werden rund und prall, die Schultern erstarken, die Schenkel runden sich bei den Mädchen und werden bei den Jungen fest. Die Poesie wird körperlich und begehrt andere Körper.
    Eugens Gesicht aber, ohnehin nicht besonders anmutig, öffnete sich wie getrockneter Schlamm, der aufbricht. Die Nase strebte himmelwärts, der Mund dagegen bog sich nach unten; Wangen, Hals und Körper sahen aus wie ein altes Stück Brot; die Augen blieben rund und schwarz, statt schmaler zu werden. Inmitten der schönen blonden Schöpfe seiner Freunde fielen seine Haare unangenehm auf, weil sie flach, glanzlos und schwarz wie Krähenfedern blieben. Überdies war er kleinwüchsig: der Schmächtigste der ganzen Bande.
    «Hast du Eugen je von nahem gesehen?», fragte Abbé Melani.
    «Nein. Cloridia hat mir gesagt, sein Gesicht sehe ein wenig seltsam aus, nicht besonders anziehend.»
    «Nicht besonders anziehend? Ihm ist eine so kurze Kindernase geblieben, dass die beiden Schneidezähne immer bloßliegen wie bei einem Kaninchen. Er atmet nur durch die geöffneten Lippen, weil er sie nicht schließen kann.»
    Als Eugen ausgewachsen war, war auch ein neuer Name gefunden. Mit seinem deformierten Gesicht hieß er für die Freunde von nun an Hundenase.
    Und doppelt schwer war die Demütigung, wenn sie seine geringen Kräfte ausnutzten und ihn in der Küche oder auf der Dienstbotentreppe sodomisierten, während die Mägde so taten, als sähen sie nichts. Danach lief die ganze Gruppe fort und verspottete ihn mit diesem grausamen Spitznamen. Nun gehörte auch er zur Sorte der Frau-Männer.
    «Sieh dir Eugens Porträts genau an, du findest sie überall. Gewiss, sie sind geschönt. Seine Augen sind das nicht, auch nicht Nase und Mund. Doch die Maler und Kupferstecher wussten nichts von seinem Laster, und darum haben sie seine Miene, die einer hysterischen alten Henne, nicht beseitigt: die hochgezogenen Augenbrauen, die angewiderten Züge, die zu steif emporgereckte Brust. Alles typische Merkmale des Invertierten», sagte Abbé Melani mit ostentativem Abscheu.
    «Wie bei vielen Invertierten wurde sein Charakter durch die Mischung aus Schuld und Scham doppelzüngig wie bei einer Frau. Er hat die weibliche Kunst der Verstellung, der Anspielung gelernt. Er ist misstrauisch und nährt seinen heimlichen Groll lange Zeit. Den Beweis hast du selbst vor Augen gehabt: die alte Münze von der Belagerung Landaus. Er wird sie sich wohl von jemandem besorgt haben, der bei der Belagerung dabei war, da er selbst ja für Joseph das Feld räumen musste und nicht am letzten, entscheidenden Angriff teilgenommen hat. Er bewahrt die Münze heimlich auf wie einen mit Gift getränkten Dolch. Sie erinnert ihn an den Tag, an dem der junge Joseph ihm den militärischen Ruhm genommen hat. Ein Einzelfall, doch immerhin ein Zeichen dafür, wie gefährdet sein Feldherrenruhm, wie abhängig er von den Launen und dem Erfolg seines Herrschers ist.»
    Ich hörte dem Bericht erschrocken zu und dachte: Eugen, die Geißel der Türken in Zenta; Eugen, der Eroberer Norditaliens; Eugen, der Sieger beim Massaker von Höchstädt … Aus welchem Abgrund des Lasters war der größte Kämpfer Europas aufgestiegen? Jetzt verstand ich, warum Atto

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