Veritas
bei unserem ersten Gespräch vor einigen Tagen dieser böse Spitzname entschlüpft war, den die Kameraden dem Prinzen verliehen hatten: Hundenase. Der Abbé hatte die dunkle Vergangenheit des Durchlauchtigsten Prinzen von Savoyen immer vor Augen.
«Um unseren Helden der schlechten Gesellschaft zu entziehen, beschloss man, wie ich dir bereits erzählte, ihn der kirchlichen Laufbahn zuzuführen. Während einer Reise nach Turin ließ die Mutter ihm eine Tonsur scheren.»
Dies war ein offizieller Akt, das Zeichen, dass man fürderhin den irdischen Freuden entsagte. Doch als Hundenase nach Paris zurückkehrt und die Freunde wiedersieht, fällt er in seine alten Fehler zurück. Der Plan einer geistlichen Laufbahn wird fallengelassen.
«In dieser Zeit erwarb er sich neue Spitznamen», erzählte Atto mit boshaftem Lächeln, «allesamt sehr witzig: Madame Simone oder Madame L’Ancienne, vielleicht weil sein faltiges Gesicht ihn wie eine hässliche Alte erscheinen ließ, wenn er sich als Frau kleidete.»
«Er kleidete sich als Frau?», stammelte ich.
«Aber natürlich! Hast du vergessen, was ich dir vor einigen Tagen erzählte? Sogar als er aus Frankreich floh, um in den Dienst des Reiches zu treten, tat er das», lachte Atto. «Auch seine Mutter und seine Tante verbargen sich unter Männerkleidern, als sie aus Rom flohen, um ihre Ehemänner zu verlassen. Doch eine als Mann verkleidete Frau ist bei weitem nicht so lächerlich und krankhaft wie ein Mann in Unterröcken.»
«Ich verstehe das nicht. Wenn Eugen wirklich ein Effeminierter ist, wie erklärt Ihr dann, dass er der große General werden konnte, der er jetzt ist? Der Krieg ist nichts für Weiber. Der Prinz hat die härtesten, blutigsten Feldzüge geführt, er war mitten in den Attacken, den Schießereien, den Stürmen der Kavallerie. Er hat Belagerungen, Angriffe, Rückzüge befehligt …»
Es sei nicht verwunderlich, antwortete Atto, dass ein berühmter General zur Sorte der Frau-Männer gehöre. Unter den großen französischen Feldherren gebe es ihresgleichen in Hülle und Fülle: Turenne, Vendôme, Huxelle, Condé und viele andere. Bei ihnen verwandelten die männlichen Soldatentugenden sich häufig in jenes grobschlächtige Verhalten, welches Männer gerne wie Frauen behandelt, denn nur in ihnen (in ihren Bärten, ihren Muskeln, ihrem Gestank) sehen die invertierten Soldaten ihre eigenen rauen Neigungen erwidert und befriedigt. Der Marschall de Vendôme, ein Nachfahre des französischen Königs Heinrichs IV, ein Kriegsheld, ein großer Trinker und Raucher, schmutzig und großspurig, vergnügte sich mit tausenderlei Derbheiten, er teilte das Bett mit seinen Hunden und pisste hinein. Während er mit seinen Untergebenen sprach und Befehle gab, defäkierte er seelenruhig vor ihren Augen in den Eimer, den er dann, nachdem er ihn seinen Adjutanten vor die Nase gehalten, entleerte und zum Rasieren benutzte. Die Härte und Grausamkeit des Krieges waren für ihn die natürliche Krönung einer viehischen Natur. Männer, die so beschaffen sind, erklärte Atto, würden zu Liebhabern von Männern, gerade weil sie Soldaten sind. Eugens Fall hingegen sei ganz anders.
«Hundenase ist nicht lasterhaft, weil er Soldat ist. Umgekehrt: Er ist Soldat geworden, weil er lasterhaft ist.»
Dann räusperte er sich, als müsste er nun ein so heikles Thema ansprechen, dass sogar seine Stimmbänder davor zurückschreckten.
«Er gehört zu jenen Sodomiten, die sich nicht freiwillig für ihren unseligen Zustand entschieden haben. Wenn er gekonnt hätte, hätte er es liebend gerne vermieden. Doch es gab etwas, das Eugen schon im zarten Alter rücksichtslos in die Reihen der Frau-Männer gestoßen hat.»
Jetzt bereitete das Sprechen dem Abbé Mühe. Bis eben hatte er aus der Höhe seiner fünfundachtzig Jahre gesprochen und darüber vergessen wollen, dass er selbst einst zu diesem Gesindel gehört hatte. Doch nun, da er von den Vergewaltigungen sprach, die Eugen als Kind hatte erleiden müssen, konnte er sich nicht mehr verstellen: Zu sehr ähnelten sie der schmerzhaften Kastration, die dem Körper des kleinen Atto Melani zugefügt worden war. Und die Erinnerung ließ seine Stimme erzittern.
An der Schwelle zu seinem zwanzigsten Geburtstag fühlte Hundenase sich nutzlos und leer. Die Gefährten der Kinderjahre hatten ihn verlacht, gedemütigt, vergewaltigt. Die einzigen Freunde, die er auf der Welt besaß, liebten es, ihn zu missbrauchen, weil er der Kleinste und Hässlichste der
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