Veritas
König von Frankreich war, wenn man Atto hörte, von Invertierten umgeben.
Er fuhr fort, eine Reihe von Persönlichkeiten aufzuzählen, die, wie er sagte, in Frankreich sehr bekannt waren: der Grand Condé, der Chevalier von Lothringen, Guiche, d’Effiat, Manicamp, Châtillon … Und viele Verwandte Eugens: sein älterer Bruder Philippe, die Cousins Louis und Philippe Vendôme, der Fürst von Turenne und der junge François Louis de la Roche-sur-Yon. Atto zählte nur die Namen auf, überließ es also mir, zu schlussfolgern, dass sich hier zur Sodomie sogar noch der Inzest gesellte.
All diese glänzenden Namen gaben sich unablässig einem obszönen Reigen aus ephebischen, männlichen Amouren hin, zum Hohn von Natur, Religion und Moral. Rauschhafte Nächte verbrachten diese Pariser Lüstlinge, schlaflose Nächte, vom Duft des Öls geschwängert, mit dem sie einander einrieben, bevor sie sich zueinander legten, Nächte, die sie damit zubrachten, dieses oder jenes weibliche Kleidungsstück anzulegen, vor dem Spiegel Röcke, Armreifen, Ohrringe zu probieren …
«Sie nennen es ‹das italienische Lasten!», wiederholte er aufgebracht, als wäre es das, was ihn vorzüglich ärgerte. «An welchem italienischen Hof findest du derart unflätiges Treiben? Ach was, an welchem europäischen Hof? In England hat es nur zwei Fälle gegeben, beide allseits bekannt: Eduard II. Plantagenet und Wilhelm III. von Oranien, welcher allerdings Holländer war. Der Erste stammte jedoch direkt von der schönen, sündhaften Französin Eleonore von Aquitanien ab, und die Großmutter mütterlicherseits des Zweiten war Henriette von Frankreich, die Schwester Ludwigs XIII. – Ausnahmen also, bei denen das französische Blut die Oberhand gewann. Zählt man aber alle Pervertierten am französischen Hof auf, verliert man den Überblick. Madame von der Pfalz hat recht, wenn sie sagt, Männer, welche Frauen lieben, gebe es in Frankreich nur noch im Volk! Und lassen wir die Albernheit beiseite, zwischen Effeminierten und Sodomiten zu unterscheiden, wie die Pariser es tun. Im Schlamm werden Wasser und Erde zu einer einzigen Masse.»
Während Atto sich in diesen Beschimpfungen erging, traf mich ein Schlag nach dem anderen: Sogar Wilhelm von Oranien, der Heerführer, von dessen Taten ich während meines ersten Abenteuers mit Atto erfahren hatte, gehörte zur Sorte der Frau-Männer!
Vor etwa vierzig Jahren, ging die Erzählung weiter, hatten der Chevalier von Lothringen, ein berühmt-berüchtigter Sodomit, und seine ebenbürtigen Freunde Tallard und Biran in Paris eine regelrechte Geheimsekte wider die Natur gegründet. Die Mitglieder mussten geloben, nie mehr eine Frau anzurühren, und wenn sie schon verheiratet waren, nicht einmal ihre Gemahlinnen. Neue Adepten waren verpflichtet, sich von den vier Großmeistern, welche die Bruderschaft anführten, «visitieren» zu lassen, und mussten schwören, strikte Geheimhaltung sowohl über die Sekte als auch über ihre Rituale zu wahren.
Die Kongregation war so erfolgreich, dass fast jeden Tag neue Kandidaten, darunter auch illustre Namen, um Aufnahme baten. Zum Beispiel der Graf de Vermandois, unehelicher Sohn Ludwigs XIV, dem das Privileg gewährt wurde, sich auszusuchen, welcher der vier Großmeister ihn «visitieren» sollte.
«Die anderen drei waren beleidigt, denn Vermandois war wirklich ganz entzückend», sagte Atto, und eine Spur Verlegenheit in seiner Stimme verriet die unfreiwilligen Vorlieben, denen er vor vielen Jahren als junger Kastrat gefrönt hatte.
Während Atto sprach, gewann ich nach und nach mehr Einblick in seine Seele. Und ich erkannte, mit welcher Erleichterung er nun die letzte Epoche seines Lebens lebte: das Greisenalter. Jetzt war er endlich frei von den Folgen der Verstümmelung, die ihm die Liebe der Frauen verwehrt hatte. Das höchste Alter, in dem das Feuer des Fleisches vollends erlischt, hatte alle Spuren der Verweiblichung zwischen den Falten des Kastraten begraben, so wie es bei seinen Altersgenossen die Männlichkeit einschlafen lässt. Auch das Bleiweiß im Gesicht, das Karmesinrot der Wangen und die Schönheitsflecken waren nicht mehr so übertrieben wie ehedem; der Abbé trug jetzt gerade so viel Schminke auf, wie man sie bei jedem Edelmann sieht. Und die vielen roten und gelben Quasten und Schleifen waren verschwunden. Melani war immer in dunkle Farben gekleidet, wie es sich für betagte Menschen gehört.
Kurz, mit fünfundachtzig Jahren war Atto ein alter Mann wie
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