Veritas
ganzen Gruppe war. Hundenase hatte nur eine Möglichkeit: Er musste den Spieß umdrehen. Er kam aus der niedrigsten Perversion – um sich zu retten, musste er zur höchsten Tugend überwechseln. Zur schwersten, zur gefährlichsten.
«Er hörte auf, sich als Frau zu verkleiden, und griff zur Verkleidung als Soldat. So würde er ein anderer werden, jemand, der er wahrscheinlich nie hätte sein wollen. Doch er war dazu gezwungen, um nicht mehr Hundenase und Madame L’Ancienne zu sein. Die geistlichen Gelübde hatte er nicht ablegen wollen? Nun, er würde die militärischen ablegen: Hundenase wurde zum Priester des Krieges.»
Er bat Ludwig XIV. um das Kommando über ein Regiment. Der König, der ihn verachtete, lehnte ab. Also floh Eugen aus Frankreich und lief zum Feind über. Er trat in die Dienste Österreichs, wo er das Kommando und die Soldaten erhielt, die er wollte. Von diesem Moment an war der Krieg seine Religion, und zwar die einzige.
Er wollte erbarmungslos und grausam werden – männlicher als ein richtiger Mann. Niemand sollte seine wahre Natur erkennen. Er schrieb keine privaten Briefe mehr, nie mehr.
«Viele haben seine Schreiben abgefangen, doch sie wurden alle enttäuscht. Seine Korrespondenz behandelt ausschließlich politische und kriegerische Angelegenheiten. Eugen kennt kein Gefühl, keine menschlichen Beziehungen, keine Leidenschaft. Er kennt nur die Pflicht.»
Und die Pflicht, so wie er sie auffasste, war simpel: so viele Feinde töten wie möglich. Fortan lehnte er im Krieg jeden Waffenstillstand ab, im Frieden suchte er den Kampf. Um an die gefährlichste Front geschickt zu werden, um immer genügend Waffen und Geld für seine Armeen zu bekommen, zögerte er nicht, heftig mit dem Kaiser zu streiten: zuerst mit Leopold, dann mit dessen Sohn Joseph dem Sieghaften.
Und so vollzog sich mit der Zeit eine neue Verwandlung: Der Priester des Krieges wurde zum Hauptmann des Todes. Wenn er das Kommando führte, wurde immer bis zum letzten Blutstropfen gekämpft. Auf diese Weise würde niemand mehr, er selbst am allerwenigsten, seinen Namen mit Liebe und Frieden verbinden. Er hatte den Frieden im Hôtel de Soissons kennengelernt und am eigenen Leib erfahren, dass er zum Laster führte.
Geliebte weiblichen Geschlechts hatte er nicht; wenn sie auftauchten, benutzte er sie, um den Leuten Sand in die Augen zu streuen. In Wirklichkeit stießen ihn Frauen durchaus nicht ab, doch der Hauptmann des Todes hatte anderes im Kopf. Unterdessen sollte seine jugendliche Neigung in Vergessenheit geraten. Den alten Gefährten der verderbten Spiele war das nur recht.
Die Jahre vergingen, und tausendfach schon waren ihm die Kanonenkugeln um den Kopf gepfiffen, er hatte Soldaten wie die Fliegen sterben, Waffenbrüder verbrennen, Mütter und Väter um den Tod ihrer Söhne weinen, ganze Nationen untergehen sehen. Doch zeigte sich eine Möglichkeit, Frieden zu schließen oder wenigstens Waffenruhe herzustellen, widersetzte er sich mit aller Kraft. Der Hauptmann des Todes musste die letzten Reste von Madame L’Ancienne im Schlamm der Schützengräben ersticken.
Manchmal gelang es ihm, einen jungen Soldaten von der Nachtwache in sein Zelt zu locken und einen flüchtigen Moment der Intimität zu genießen. Nur in solchen kurzen Augenblicken wusste Eugen nicht mehr, wer er war: der Hauptmann des Todes, der Priester des Krieges, Hundenase oder Madame L’Ancienne? Doch kaum hatte er am nächsten Tag die blank geputzten Marschstiefel angezogen, war alles wie früher.
«Jetzt kennst du den wahren Grund, warum Eugen von Savoyen sich dem Ende des Krieges widersetzt», schloss Atto, den die peinliche Erklärung fast völlig entkräftet hatte. «In gewisser Weise habe ich schon am ersten Tag, an dem wir uns wiedersahen, versucht, es dir zu erklären. Jetzt hast du freilich ein vollständigeres Bild. Eugen weiß nicht, wie er mit dem Frieden umgehen soll. Was könnte er tun ohne seinen betressten Waffenrock? Von einem Tag zum anderen würde er wieder zu dem, was er früher war: Madame L’Ancienne. Er hasst den Frieden, weil er ihn fürchtet. Er kämpft nicht gegen Ludwig XIV, sondern gegen sich selbst. Und dieser Krieg ist noch in vollem Gange.»
«Die neue Strategie Josephs I., also der Frieden mit dem Papst und den ungarischen Rebellen, die Aufteilung Spaniens mit Frankreich …»
«… könnte Eugen zu einem extremen Schritt getrieben haben», kam mir der Abbé zuvor. «Hundenase entscheidet, den jungen Heerführer zu
Weitere Kostenlose Bücher