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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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nicht lange gezögert und waren in die Moschee eingedrungen, wo sie das Grab des Großwesirs aufgebrochen hatten.
    Voller Furcht, die beiden Ordensbrüder könnten ihnen wegen des heimlichen Eindringens in die Moschee zürnen, die nunmehr rechtmäßiges Eigentum der Gesellschaft Jesu war, erboten sich die sieben Soldaten, den Jesuiten alles zu überlassen, was sie im Grab Kara Mustafas gefunden hatten, einschließlich des erstaunlichsten Gegenstandes: seines Kopfes.
    Nun wühlte Ugonio in seinem schmierigen Jutesack und zog einen Gegenstand, groß wie eine Melone und in ein graues Tuch gehüllt, hervor. Als er das Tuch abnahm, machten wir alle unwillkürlich einen Satz rückwärts, sogar der Abbé.
    Es war ein menschlicher Kopf, von einer Silberschicht bedeckt. Die Gesichtszüge ließen sich jedoch noch erkennen: eine hohe Stirn, die Nase lang und hakenförmig, in der Art gewisser Juden, schmale Augen, Bartspuren auf den Wangen und eine finstere türkische Miene, die der gewaltsame Tod in eine verzweifelte Fratze verwandelt hatte.
    «Das ist also …», murmelte ich zögernd.
    «… der Kopf von Kara Mustafa», ergänzte Atto entsetzt, der ahnte, was der Heiligenfledderer aus dem Sack gezaubert hatte.
    «Dann war das also der Kopf, den Ciezeber von dir wollte!», rief ich aus.
    Ugonio hielt mir das Fundstück hin, das ich mit einer Mischung aus Neugierde, Abscheu und Ehrfurcht musterte, insgeheim dankbar, dass der Heiligenfledderer es nicht aus seinen garstigen Händen geben wollte.
    In diesem Antlitz unter der silbernen Hülle, in dieser Leidensmiene und ihren gequälten, verkrampften Zügen war die ganze Tragödie der letzten Belagerung Wiens eingeschlossen: der wahnwitzige Eroberungsplan des Kara Mustafa, die blutige Schlacht, die endgültige Niederlage der Osmanen, der tragische Tod des Großwesirs, der die Christenheit in die Knie zwingen wollte. Wie viele Gefallene bedeutete eine einzige Falte dieses entstellten Gesichts? Wie viele tausend Meilen Marsch zum Schlachtfeld hatte es gesehen? Wie viele Zähren von Witwen, Verwundeten und Waisen verdichteten sich in einer Träne des sterbenden Kara Mustafa? Die Patina aus Silber, die diesen Überrest menschlichen Fleisches schützen sollte, machte daraus in Wahrheit ein Mahnmal irdischer Hinfälligkeit.
    Aus dem Augenwinkel spähte ich verstohlen hinüber zu Atto, welcher fassungslos wie ich, erschütterter noch, der Erzählung lauschte, freilich hinter dem schützenden Schild seiner kleinen Blindenbrille versteckt. Wie viele derartige Verhöre hatte ich ihn vor Jahren durchführen sehen! Jetzt aber war ich derjenige, der die Fragen stellte: Ich war nicht nur ein gestandener Mann, sondern auch von eigener Lebenserfahrung gezeichnet. Der alte Atto, dachte ich in einer bittersüßen Mischung aus Stolz, Rachlust und Mitleid, war in einem Alter, da auch die kühnsten Vorkämpfer wieder zum gemeinen Soldaten werden.
    Doch ich schüttelte diese Betrachtungen ab und kehrte zur Gegenwart zurück.
    «Warum hattest du so große Angst, uns diese Geschichte zu erzählen?», fragte ich Ugonio. «Wie kommst du auf die Idee, Ciezeber könnte dir etwas zuleide tun?»
    «Die Scrupoli vermindernd, um die Skrupel nicht zu mehren, habe ich gemeineidlich verschworen, nichts auszupfeifen von der Geschäftigkeit, die mir der Derwischer aufdekoriert hat. Die Osmanaden begierden die Kopfschaft des Großwesionärs in sehr lüsterhafter und wütiger Weise. Sie vermeinen, dass er allweil jegliches Unmissglück fortbannt. Er soll ihnen helfen, ein sehr starkstrotzendes und vermetzelndes Heer aufzustellen und Wien mit manniglichen Monstritäten und Schändlichungen zu zermörsern.»
    So erfuhr ich staunend, dass die Türken offenbar glaubten, vom Kopf eines Toten das zu bekommen, woran er als Lebender gescheitert war. Was mich indes verwirrte, war das neue Bild, das sich nach Ugonios Enthüllungen bot. Als meine Cloridia in Eugens Palais Ciezeber dabei belauscht hatte, wie er jemandes Kopf forderte, war es nicht um ein Verbrechen gegangen und noch weniger um den befürchteten Königsmord, sondern darum, den Kopf des Kara Mustafa zu beschaffen. Der Derwisch hatte Ugonio mit dieser Aufgabe betraut, weil der Heiligenfledderer langjährige Erfahrung im Handel mit Reliquien und Grabbeigaben besaß, doch einen Mord hatte er nicht von ihm verlangt.
    Und ich wähnte sogar das Leben des Kaisers in Gefahr!

    Unterdessen beendete der Heiligenfledderer seine Geschichte. Die beiden Jesuiten brachten das Haupt

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